Was passiert mit einem Volk ohne Gott? Ödön von Horváth. stellt in seinem 1937 erschienen Werk „Jugend ohne Gott“ diese Frage. Und er skizziert was passiert, wenn einer anfängt, dem Ruf Gottes zu antworten.
Das Buch erzählt die Geschichte eines Lehrers, der in einer Kleinstadt an einem Gymnasium arbeitet. Während die Jungen in einem Ferienlager auf einer militärischen Übung außerhalb des Lagers sind, durchsucht er den Schlafplatz des Schülers Z, bricht dabei eine Kassette mit dessen Tagebuch auf und erfährt so, dass dieser ein Verhältnis mit der Anführerin (Eva) einer örtlichen Räuberbande hat. Weil der zurückkommende Schüler bemerkt, dass seine Kassette aufgebrochen ist, beschuldigt er einen Mitschüler N und fängt einen Streit mit diesem an. Der Lehrer nimmt sich zwar vor, die Tat zu gestehen, traut sich aber letztlich nicht.
Am nächsten Tag wird der von Z beschuldigte N nach einem Ausflug der Klasse erschlagen aufgefunden.
Im darauf folgenden Mordprozess gegen den Schüler Z muss am 2. Verhandlungstag auch der Lehrer aussagen. Kurz vor seiner Aussage findet eine Verhandlungspause statt.
Ich will mir eine Zigarette anzünden. Zu dumm, ich hab sie zu Hause vergessen!
Ich verlasse die Anlagen und suche ein Zigarettengeschäft. In einer Seitenstraße finde ich eines. Es ist ein kleines Geschäft und gehört einem uralten Ehepaar.
Es dauert lang, bis der Alte die Schachtel öffnet und zehn Zigaretten zählt. Sie stehen sich gegenseitig im Wege, sind aber freundlich zueinander. Die Alte gibt mir zu wenig heraus, und ich mache sie lächelnd darauf aufmerksam. Sie erschrickt sehr. »Gott behüt!« meint sie, und ich denke, wenn dich Gott behütet, dann bist du ja wohl geborgen.
Sie hat kein Kleingeld und geht hinüber zum Metzger wechseln. Ich bleib mit dem Alten zurück und zünde mir eine Zigarette an. Er fragt, ob ich einer vom Gericht wär, denn bei ihm kauften hauptsächlich Herren vom Gericht. Und schon fängt er auch mit dem Mordprozeß an. Der Fall sei nämlich riesig interessant, denn da könnte man deutlich Gottes Hand darin beobachten. Ich horche auf. »Gottes Hand?« »Ja«, sagt er, »denn in diesem Falle scheinen alle Beteiligten schuld zu sein. Auch die Zeugen, der Feldwebel, der Lehrer – und auch die Eltern.«
»Die Eltern?«
»Ja. Denn nicht nur die Jugend, auch die Eltern kümmern sich nicht mehr um Gott. Sie tun, als wär er gar nicht da.«
Ich blicke auf die Straße hinaus. Die Alte verläßt die Metzgerei und geht nach rechts zum Bäcker. Aha, der Metzger konnte auch nicht wechseln. Es ist niemand auf der Straße zu sehen, und plötzlich werde ich einen absonderlichen Gedanken nicht mehr los: es hat etwas zu bedeuten, denke ich, daß der Metzger nicht wechseln kann. Es hat etwas zu bedeuten, daß ich hier warten muß.
Ich sehe die hohen grauen Häuser und sage: »Wenn man nur wüßte, wo Gott wohnt.« »Er wohnt überall, wo er nicht vergessen wurde«, höre ich die Stimme des Alten. »Er wohnt auch hier bei uns, denn wir streiten uns nie.«
Ich halte den Atem an. Was war das? War das noch die Stimme des Alten? Nein, das war nicht seine – das war eine andere Stimme. Wer sprach da zu mir? Ich dreh mich nicht um. Und wieder höre ich die Stimme: »Wenn du als Zeuge aussagst und meinen Namen nennst, dann verschweige es nicht, daß du das Kästchen erbrochen hast.«
Das Kästchen! Nein! Da werd ich doch nur bestraft, weil ich den Dieb nicht verhaften ließ! »Das sollst du auch!« Aber ich verliere auch meine Stellung, mein Brot – »Du mußt es verlieren, damit kein neues Unrecht entsteht.« Und meine Eltern?! Ich unterstütze sie ja! »
Soll ich dir deine Kindheit zeigen?« Meine Kindheit? Die Mutter keift, der Vater schimpft. Sie streiten sich immer. Nein, hier wohnst du nicht. Hier gehst du nur vorbei, und dein Kommen bringt keine Freude – Ich möchte weinen.
»Sage es«, höre ich die Stimme, »sage es, daß du das Kästchen erbrochen hast. Tu mir den Gefallen und kränke mich nicht
wieder.«Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott
Der Lehrer folgt dem Ruf Gottes, im Prozess die Wahrheit zu sagen, trotz aller Angst um seine Zukunft und die daraus erwachsenden Folgen.
Und deshalb wird alles anders….
Ein jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den will ich mit einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute.
Matthäus 7,24