Was war er als Kind nicht für ein nettes Kerlchen gewesen! Als jüngster Sohn des Germanicus und Enkel des Drusus war er, wenn schon nicht durch Drusus selbst, dann auf jeden Fall durch seine Mutter Vipsania Agrippina ein echter Großenkel des Augustus. Er begriff lange Zeit nicht, was das bedeutete, bis die ehrgeizige Vipsania Agrippina ihn darüber aufklärte.
Als er älter wurde und zur Erziehung nach Rom kam, entpuppte er sich als nicht mehr ganz so nett. Er erlag weniger den Versuchungen, die Welt theoretisch als vielmehr praktisch zu studieren, wobei er mit dem weiblichen Teil anfing. Jedoch beließ er es nicht dabei, sondern befaßte sich auch mit dem männlichen. Er war ein playboy jener liebenswürdigen Art, wie sie heutzutage aus dem Bereich der Fabrikantenparvenues kommen, ausgestattet mit demselben Geld und demselben Gehirnvakuum und derselben bedauerlichen Gesundheit.
Er war haltlos; aber Bösartigkeit oder gar Grausamkeit bemerkte man an ihm noch nicht. Das Volk sprach von ihm als »unser Kleiner«, »unser Schoßkind« und »unser Augensternchen«.
Tiberius, der ihn von Zeit zu Zeit zu sich beorderte, war offenbar der einzige, der ihn hellsichtig erkannte. Mit Schrecken dachte er daran, dass dieser Jüngling jemals zur Herrschaft kommen könnte (er hat ihn nicht eingesetzt); er nannte ihn Phaeton — ein nicht einmal sehr böses, aber grausig prophetisches Wort.
Mit der Präzision eines falsch gefütterten Computers spuckte das Volk auf die Frage, wer Tiberius’ Nachfolger werden sollte, den Namen Caligula aus. Als der Senat zögerte, stürmte die Plebs die Curia und erzwang Caligulas Ernennung. Man feierte sie mit hundertsechzigtausend Opfertieren.
Der Anfang des Phaeton war nicht schlecht. Er hob einige drückende Bestimmungen des Tiberius auf, ließ ein paar Verhaftete frei und gab der Volksversammlung das Recht der Beamtenernennung zurück. Das alles waren keine dollen Sachen, aber dolle Sachen erwartete auch niemand von ihm.
Plötzlich jedoch schlug das indifferente laue Wetter zu einem entsetzlichen Hurrikan um. Es heißt, daß das nach einer schweren Erkrankung Caligulas geschah, vielleicht einer Gehirnerkrankung, aber sie ist nicht belegt. Sueton beginnt diesen Teil seiner Caligula-Biographie mit dem Satz: »So viel von ihm als Fürsten; nun muss ich von ihm, dem Ungeheuer berichten.«
Er wurde für die Nachwelt der Inbegriff des »Cäsaren-wahnsinns« (Gustav Freytag). Das erste, was »das Ungeheuer« tat, war die Erhöhung des Principats zu einem orientalischen Kaisertum. Nicht zufällig floß das Blut des Antonius in seinen Adern. Er verlangte die Verehrung als leibhaftiger Gott. Stundenlang stellte er sich zwischen die Statuen des Castor und Pollux und ließ sich von den andächtig Nahenden anbeten.
Er baute sich einen Tempel mit seinem lebensgroßen Standbild, das von den Priestern täglich mit den gleichen Gewändern bekleidet wurde, die er selbst an diesem Tage trug. Wenn er den kapitolinischen Tempel besuchte, so führte er laute Gespräche mit Jupiter wie mit einem Onkel, scherzte, lachte, zankte auch mit ihm und hielt die Hand ans Ohr, um besser hören zu können. Sein Verhältnis zur Umwelt war das eines Irrsinnigen.
Während seines ersten und zweiten Regierungsjahres gab es viele Fälle, wo hysterisch begeisterte Bürger bei einer Krankheit Caligulas sich zu opfern gelobten, falls ihr Augensternchen wieder genesen würde. Sobald Caligula davon hörte, ließ er die Leute ergreifen und in den Selbstmord treiben. Gelang das nicht, so wurden sie in der Arena abgeschlachtet. Jedoch, es war nicht das fließende Blut, das ihn wie eine bestimmte Verbrechertype reizte, er mordete auch sehr gern, ohne etwas davon zu sehen zu bekommen. Die Befehle flossen ihm schwerelos aus dem Munde. Seinen Adoptivbruder ließ er von einem Prätorianer erstechen, weil ihn die Ängstlichkeit ärgerte, mit der der arme Junge bei Einladungen von den Speisen kostete. Seinem Schwiegervater ließ er die Kehle durchschneiden, weil der alte Mann ihn bei einem Sturm nicht zu Schiff begleiten wollte. In Wahrheit sind natürlich alle »weil« falsch. Sein Trieb stand in keinem Zusammenhang mit den Scheinanlässen. Wenn er, was wahrscheinlich ist, seine Großmutter Antonia (die Briefschreiberin) vergiftet hat, so fehlt jedes Motiv.
Um das ägyptische Gottkönigtum nicht zu versäumen, vermählte er sich wie die Pharaonen mit seiner Schwester Drusilla, mit der er zügellose Orgien feierte. Er erhob sie ebenfalls zur lebenden Göttin. Als sie starb (er nahm sich die nächste Schwester vor), ordnete er einen Reichstrauertag an, an dem ein Lachen mit dem Tode bestraft werden sollte.
Es wurde bald nicht mehr gelacht. Denn auch, wer nicht mit dem Kaiser in Berührung kam, war seines Lebens nicht mehr sicher. Er hat Tausende ermordet und Zehntausende ins Unglück gestürzt. Er ließ missliebige Dichter verbrennen und Angeklagten, die ihre Unschuld zu beteuern wagten, die Zunge herausschneiden. Hörte er von der Schönheit eines Mannes, so ließ er ihn verunstalten. Nur mit Mühe und aus Furcht vor dem Militär war er davon abzubringen, die Legionen, die damals beim Tode des Augustus »gestreikt« hatten, ohne Ausnahme hinrichten zu lassen (kein Mensch aus jener Zeit befand sich noch unter ihnen). Bei der Einweihung einer Brücke ließ er die Gäste, die auf der Brücke standen, ins Wasser stürzen.
Eines Tages kam Caligula auf den Gedanken, die Reichen Roms, einen nach dem anderen, der Majestätsbeleidigung anzuklagen, hinzurichten und ihren Besitz einzuziehen. Ein Strom von Geld und Gold Floss herein
Es ist ein komischer Zug der menschlichen Psyche, wie schnell ein Dolch bei der Hand ist gegen einen, der guten Glaubens fehlgeht, und wie langmütig die Masse gegen einen Bösewicht bleibt, wenn er spektakulär und unbegreiflich ist.
Verschwörungen mussten misslingen, solange die Prätorianergarde nicht mitmachte. Diesen Henkersknechten stopfte er das Maul mit Gold. Sie bekamen dreifachen Sold. Ein Gewissen hatten sie nicht. Auch der Kommandeur war nicht damit belastet, solange er sich persönlich sicher fühlen konnte — was bei einem Caligula abzusehen war. Tatsächlich mehrten sich die Anzeichen der Gefahr. Jetzt war Komplizen zu suchen nicht mehr so selbstmörderisch, denn auch der stellvertretende Kommandeur und mehrere Hofbeamte zitterten bereits.
Mit dem 24. Januar 41 nahte endlich der Tag der Erlösung. In dem unterirdischen Gang, durch den der Kaiser um die Mittagszeit vom Circus zu seinem Palast zurückkehrte, zog der hinter ihm gehende Kommandeur der Leibwache das Schwert und schlug das Ungeheuer nieder. Der Kaiser war nicht sofort tot und schrie wie am Spieß, bis die anderen Verschwörer ihn erstachen.
Seinen Leib, massig auf dünnen Beinchen, glatzköpfig mit neunundzwanzig Jahren, aber am Körper behaart wie eine Ziege (das Wort Ziege durfte zu seinen Leb¬zeiten nicht ausgesprochen werden), schleppte man in der dunklen Nacht weg und verscharrte ihn in einem Garten des Esquilin.
Die Menschen hielten die Nachricht für eine Falle Caligulas und wollte sich sichern. Erst als die Verschwörer den Konsuln Meldung machten und ihnen den Palast öffneten, brach die Masse in ungeheuren Jubel aus — genau so groß wie vor vier Jahren; na ja, vielleicht nicht ganz so groß, denn wo blieben diesmal die hundertsechzigtausend Schlachttiere?
Patrizier und Equites dachten weniger an die geopferten Tiere, als an die geopferten Menschen, die fast alle aus ihren Reihen stammten. In einer feierlichen »dam-natio memoriae« tilgte der Senat den Namen und das Bild Caligulas von allen Münzen und Schriftstücken, aus allen Räumen und Tempeln. Die Lehre, die Caligula den Menschen erteilt hatte, schien dem Senat so furchtbar, daß er entschlossen war, Rom wieder zur Republik zu machen. Ein schwerer Schritt ins »Ungewisse«. Dennoch war man sich fast einig. Während schöne und erhebende Reden erschallten, erscholl draußen, aus der Richtung der Prätorianer-Kaserne, auch etwas, nämlich ein Trompetenstoß, der alles weitere Gerede überflüssig machte: Die Garde rief eigenmächtig einen neuen Kaiser aus!