Zeugen des gegenwärtigen Gottes Traugott Hahn – Ein Märtyrer der baltischen Kirche

Nach dem ersten Weltkrieg fluten die bolschewickischen russischen Truppen das Baltikum . Traugott Hahn wird zum Märtyrer. Denn er ist kein Mietlin.

Von unbekannt – Archiv des Gießener Wingolf Bild-PD-alt

Auszug aus der Biografie über Traugott Hahn.

Der Reichtum des letzten Jahres

Werfet euer Vertrauen nid!.t weg, weld!.’es eine große Belohnung hat!

Hebräer 10.35

Am 24. Februar 2018 schlägt die Stunde der Erlösung. Der deutsche Vormarsch hat erneut begonnen. Doch den Roten gelingt es zuvor, die Inhaftierten zu verschleppen. „Eure Augen sollen die nicht sehen, auf deren Kommen ihr so sehnsüchtig wartet“, wird ihnen höhnisch gesagt. Hahn aber bleibt unangetastet . . . .

Und dann halten die ersten deutschen Truppen ihren Einzug in Dorpat. Ein Amtsbruder von Hahn, Oberpastor Wittrock von der St.-Johannis-Kirche, schildert jenen unvergeßlichen Sonntag, den 24. Februar 1918:

„Kurz vor dem Gottesdienst in meine Predigt vertieft, sah ich, als ich meinen Blick erhob, unerwartet meinen Predigtamtskandidaten, Joseph Sedlatschek, blaß und erregt vor mir stehen und hörte ihn mir zurufen: ,Kommen Sie, Herr Oberpastor, die Deutschen sind da!‘

,Das ist unmöglich, sie können doch nicht fliegen, um in einer Nacht von Walk nach Dorpat zu kommen‘, antwortete ich ihm. ,Und doch ist es so! Wenn Sie nicht gleich aufbrechen, kommen Sie zum Empfang auf dem Großen Markt zu spät.‘ Ich meinte, mich müßte vor Freude der Schlag
rühren. So schnell mich meine Füße trugen, eilte ich zunächst in die Kirche, um den wenigen dort schon zum Gottesdienst Versammelten die Freudenkunde zu bringen und sie aufzufordern, nach dem Empfang
der Deutschen in die Kirche zu kommen. Dann lief ich zu dem nahegelegenen Rathausplatz. Das Bild, das sich mir dort bot, war überwältigend. Der große Platz von einer Kopf an Kopf dicht gedrängten Menschenmenge besetzt, und nur ein größerer Raum vor dem Rathaus für die einrückende deutsche Stoßtruppe freigehalten. In blanker Wehr, wie aus Erz gegossen, standen die Deutschen in unserer Mitte,
vom Jubel der Menge umbrandet. War es denn nur möglich? Ich stimmte, von einigen Umstehenden unterstützt, das aus ähnlicher, überwundener Not geborene Rinckartsche ,Nun danket alle Gott‘ an. Aus
tränenerstickten Kehlen drang der deutsch und estnisch gesungene Choral mächtig zum winterhellen Himmel, zu Gottes Thron empor.

.Aus tiefer Not schrei ich zu dir! 11 Hatte dies nicht
der Grundton sein sollen, der über dem Gottesdienst
jenes Tages schwebte? Und nun diese noch schier
unfaßbare Wendung! Vom Großen Markt strömt alles in die Kirchen.
Hahn läßt alle Liednummern ändern, und lauter Lobund Danklieder erschallen aus übervollen Herzen.

Er aber spricht über den 1 26. Psalm: „ Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein,
dann werden wir sagen: Der Herr hat Großes an uns
getan, des sind wir fröhlich! 11

Ruhe und Ordnung kehren wieder ein. Die aus tiefster Not Erlösten verleben die kommenden Monate wie in einem Rausch. Die von den Bolschewiken kurz vor dem Einzug der Deutschen Verschleppten
kehren zurück, nachdem der deutsche Kaiser in den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk ihre Freilassung verlangt hat.
In jenen Tagen reist mit mehreren anderen Herren auch Pastor Traugott Hahn (St. Olai) nach Deutschland, um Werbevorträge für den Anschluß
des Baltikums an Deutschland zu halten. Dieser Reise wegen vor allem ist er später, nach dem deutsehen Zusammenbruch, gezwungen, die Heimat zu verlassen.

Noch aber ist es nicht so weit. Man verbringt einen wundervollen Sommer. Hahns weilen in den Ferien in Strandhof, einem ländlichen Villenort in der Nähe von Reval.

(…)

Am 15. September erfolgt die Wiedereröffnung
der Universität Dorpat. Es ist eine der schönsten
Tage auch im Leben des Pastors der Universitätsgemeinde.
In der festlich geschmückten Universitätskirche hat sich der gesamte Lehrkörper der Universität versammelt, auch die Spitzen des Militärs. Die studentischen Korporationen mit Schärpen und Fahnen bilden Spalier.
Mit viel Liebe und Freude geht es an die neue Arbeit. Doch schon ehe die Saat aufgeht, die in den so aufnahmebereiten Boden gesenkt wird, ist alles wieder zu Ende ….

Die Arbeit befriedigt Hahn. Es ist ein schönes Arbeiten unter den deutschen Kollegen. Gern nimmt man die deutsche Einquartierung auf sich. Deutsche Offiziere gehen auch im Pastorat ein und aus.

Wo der Prediger seine Botschaft ausrichtete, da war sie immer die frohe Botschaft des Neuen Testamentes in der Situation der apostolischen Zeit. Da war sie immer bis an den Rand gefüllt von dem
Tiefengehalt des Textes, den Professor Hahn auszulegen hatte. Da war sie aber auch immer ganz un66 mittelbar auf das ,Du bist gemeint‘ angelegt, ganz erstaunlich gegenwartsnah und ganz wahrhaftig.

Nie wieder im Leben habe ich solch eine lebendig mitgehende Gemeinde gesehen. Auf die Predigten bereitete sie sich in der voraufgehenden Woche vor. _ Denn jede Predigt des kommenden Sonntags wurde im vorangehenden Gottesdienst dem Text nach angekündigt. Man war gewohnt, in kleineren Gruppen in den Häusern sich auf das Ereignis des nächsten Predigtgottesdienstes vorzubereiten und den Inhalt der Verkündigung an Hand der Heiligen Schrift selber schon zu ermitteln. Wenn dann diese Schar am
Sonntag die Kirchenbänke füllte, dann war das kein
,Predigtpublikum‘ im üblichen Sinne, sondern eine
Gesinnungs- und Glaubensgemeinschaft von überwältigender Realität. Und das Mitbeten der reichen lutherischen Liturgie, das Miterleben des feierlich gesprochenen Nizäischen Glaubensbekenntnisses an
den großen Festtagen der Kirche gab eine innere Kraft, von der nicht nur die Anwesenden, sondern im Grunde die Stadt und die Landschaft lebten.“

Gar bald aber geht diese fruchtbare Zeit, gehen die schönen Tage zu Ende. Beängstigend und niederdrückend klingen die Nachrichten, die aus Deutschland kommen. Die Katastrophe des 9. Novembers
1918 bricht herein. Auch innerhalb der Okkupationstruppen macht sich eine Auflösung der Bande von Disziplin und Zucht bemerkbar. Ein Soldatenrat wird auch in Dorpat gebildet. Nur ein Gedanke ist
es, der diesen beseelt: Nach Hausei Schlimme Ahnungen, die schon seit längerem, teils un bewußt, die Gemüter geängstigt haben, werden furchtbare Wirklichkeit.

Lieder der deutsche Freikorps

Hahn leidet unsäglich unter dem dunklen Geschehen. Die deutsche Universität wird nach einer nur zweieinhalb Monate währenden Wirksamkeit geschlossen. Auf dem Abschiedsfest für die deutschen Professoren findet er warme Worte des Dankes an die Vertreter der deutschen Wissenschaft für den Reichtum, den sie dem Lande und der Stadt gebracht. An seine Geschwister im Ausland aber
schreibt er:

„ Wir sind hier in der alten Heimat wieder in eine sehr ernste Lage gekommen. Wieder umlauern uns Gefahren. Vor allem aber erhebt sich wieder an den Toren der Bolschewismus, und auch im Innern fängt sein Gespenst an umzugehen. Wir ringen danach, uns auf alles gefaßt zu machen, aber andererseits doch nie die Hoffnung aufzugeben, auch die irdische zu Gott festzuhalten, ob auch wesentlich nur im Glauben, da das Denken – und Rechnen uns in dieser Zeit gründlich vergangen ist. Vor allem aber suchen wir die ewige Hoffnung immer fester zu fassen.“

Die Katastrophe bricht herein

Johanniskirche in Dorpat Von A.Savin – Eigenes Werk, FAL


Der Zusammenbruch in Deutschland besiegelt auch das Schicksal des Baltikums. Die deutschen Truppen, die bisher einen Schutzwall gegen die Gefahr aus dem Osten gebildet haben, verlassen das Land. Die
vielgeprüfte Bevölkerung aber weiß, was ihr bevorsteht. Ihre Erfahrungen reichen weit zurück, bis auf Iwan den Schrecklichen, dessen Horden das Land verwüsteten, Burgen und Städte zerstörten, bis auf die Schreckensherrschaft Scheremetjeffs, der Peter dem Großen, seinem Herrn, die Meldung zugehen ließ: Es gibt nichts mehr zu zerstören in Livland.

Nichts steht mehr außer Pernau und Revall Die Erinnerung wird wach an schreckliches Erleben in den letzten Kriegsjahren. . . . Ach, nur kurz war der Traum von einem dauernden Frieden! Schutzlos liegt das Land da, eine leichte Beute für den Bolschewismus auf seinem Wege zur Eroberung der Welt. Der Haß der Roten richtet sich in erster Linie gegen die Deutschbalten; denn er kennt in ihnen seine geschworenen Feinde. Sie wissen, daß sie in größter Gefahr stehen. Sie stehen vor einer großen
Entscheidung: Bleiben oder Gehen? Wer nie vor solch einer Entscheidung selbst gestanden hat, vermag ihre ganze Schwere und Grausamkeit sich nicht auszumalen.

Unter dem Eindruck der unmittelbaren Bedrohung schließen zahlreiche Deutschbalten, besonders jene, die politisch hervorgetreten waren, sich den abziehenden deutschen Truppen an, um von Riga aus die sicheren Gestade Deutschlands zu erreichen. Eines Tages im Dezember steht unvermutet der Vater vor Traugott Hahn. Ihm war dringend geraten worden, das Land zu verlassen; denn seine politische Tätigkeit im Landesrat im Frühjahr 1918, seine Reise in das deutsche Hauptquartier als baltischer Vertreter würden die Roten ihm nicht verzeihen. Er muß fort.

Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des L·ebens empfangen

Jakobus 1.2

Nach schwerem innerem Kampf hat er sich auf Drängen seiner Freunde hin entschlossen, das Land zu verlassen. In aller Stille macht er sich mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn auf den Weg.

Nun steht er in Dorpat vor seinem Sohn. Zwei Stunden hält d,er Zug. Zwischen den Bahngleisen schreiten sie im Dunkeln auf und nieder, besprechen die Lage. Dann nehmen sie Abschied voneinander. Sie
sollten sich auf Erden nicht wiedersehen.

Der gute Hirte

Der Gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe

Johannes 10.12


Die Frage: Gehen oder Bleiben? bewegt immer mehr die Gemüter. Denen, die es für sinnlos halten, sich dem sicheren Tod freiwillig auszuliefern, stehen jene gegenüber, die verlangen, es müsse ein jeder
wie ein Soldat auf seinem Posten ausharren. Es bildet sich ein baltischer Heimatschutz. Auch Deutsche stellen sich als Ausbilder zur Verfügung. Das Baltenregiment wird gebildet, estnische Truppen formieren sich, um mit der Waffe in der Hand die Heimat zu schützen.

Hahn bleibt bei seiner Gemeinde.

„Alle deutschen Männer bis zu 45 Jahren treten
hier jetzt in das deutsche Militär ein, als ein
Selbstschutz gegen die Maximalisten (d. i. Bol- _
schewiken). Ich bin wohl für die Gemeinde unabkömmlich, glaube auch auf geistigem Gebiet mehr. gegen den Bolschewismus tun zu können,
indem ich den Mut meiner Gemeinde aufrechtzuerhalten suche und gegen den Geist der Furcht kämpfe, als mit der Flinte in der Hand, habe ich doch in meinem Leben noch keinen Schuß abgefeuert.“

„Ich glaube, wir werden es vor dem Herrn der Kirche sehr ernst zu verantworten haben, wann und wie wir unsere Posten hier, die doch seine Posten sind, die er uns anvertraut hat, räumen. Mir scheint, unser Verhalten in solcher Zeit wiegt überaus schwer. Der Wert des Hirtenstandes entscheidet sich ganz wesentlich in solchen Monaten
nach dem Urteil der Gemeinde. Jede Woche hat j etzt einen ganz außerordentlich hohen Wert. Unberechenbar groß ist die Bedeutung, wenn jetzt in einer Gemeinde ein Reichgottesarbeiter, der auf einen Teil der Gemeinde Einfluß hat, wirklichen Einfluß, ruhig und tapfer aushält. . .

Wieviel kommt es in der Gegenwart, in dieser Zeit der Finsternis darauf an, daß auf allen nur möglichen Posten, wo nur irgendeine influßmöglichkeit besteht, kräftige Gottes- und Christuswirkungen ausgeübt werden mit Einsatz der ganzen Persönlichkeit! Daß solches unter persönlicher Gefahr geschieht, hebt nur die Bedeutung
solcher Wirkung.

Mir liegt immer ein Wort Pastor Needras im Ohr von 1 905 : ,Wenn das
Evangelium uns nicht alles wert ist, so ist es uns
nichts wert. Ist das Evangelium nicht wert, daß wir dafür unser Blut vergießen lassen, dann taugt es überhaupt nicht.‘ Oder richtiger: Wenn wir nicht bereit sind, um des Zeugnisses des Evangeliums unser Leben zu opfern, so beweisen wir, daß es für uns nicht den nötigen vollen Wert gehabt. Kurz, daß das Bleiben auf dem Posten für uns Gefahren möglicher-, ja wahrscheinlicherweise mit sich bringt, ist für mich durchaus noch kein Grund, ihn zu verlassen. Auch ich will so
lange wie möglich aushalten. Ich habe auch stark
das Bewußtsein der Dankespflicht gegenüber der Liebe der Gemeinde, und daß diese Dankbarkeit uns sehr fest binden muß. In schöner Weise fühle ich mich hier nicht frei.

Wie lange werde ich noch meine Kirche, Gemeinde, Pastorat behalten?

Am Vorabend des Abmarsches der deutschen
Truppen aus Dorpat betritt zu später Stunde auch Reinold von Thadden zum letztenmal das Pastorat. „ Wir waren uns über den Ernst der Lage völlig klar“, schreibt er, „aber Hahn war sich auch völlig klar darüber, daß er ein ,Hirte‘ seiner Gemeinde sein wollte und nicht ein ,Mietling‘. Daß er also zu bleiben hatte! Im Vorausahnen von dem, was jetzt kam,
haben wir in später Nacht miteinander gebetet. Und
dann sind wir Soldaten am nächsten Tage nach Süden gezogen. Für uns war es das Ende des verlorenen Krieges, der Verlust unserer überlieferten
Staatsform und der Schlußpunkt hinter einer scheinbar glanzvollen preußisch-deutschen Geschichte in zwei Jahrhunderten. Für unsere baltischen Freunde ging der eiserne Vorhang nieder vor der Bühne einer
700jährigen deutschen Geschichte im Norden Europas und eines kraftvollen Wirkens des Evangeliums unter Deutschen, Letten und Esten am Baltischen Meer.

Was nun noch blieb, war für die Dorpater Universitätsgemeinde das Ja-Sagen zum Leiden, das willige Aufsichnehmen der verborgenen Wege Gottes …. •

Doch es sollten auch Stunden der Anfechtung kommen. Der Gedanke an die Seinen, an Frau und Kinder, beunruhigt Hahn. Er will sie nach Reval schikken, um sie dort in Sicherheit zu wissen. Doch die Züge nach Reval fahren nicht mehr. . . Er geht auf das Rathaus, wo jeder sich melden muß, der im Anschluß an die Truppentransporte das Land verlassen
möchte. Er läßt auch sich und die Seinen eintragen, bittet aber, seinen Namen unter die Allerletzten zu setzen. Doch da ist es seine Lebensgefährtin, die ihn in dem Entschluß bestärkt, bei seiner Gemeinde zu bleiben, der Gemeinde, die ihren Hirten braucht, aus deren Mitte der Ruf laut wird: „ Sie können doch nicht gehen, Herr Pastor! Was soll werden, wenn auch Sie uns verlassen!•

Hahn ist hin- und hergerissen. Spürt er die Gefahr, die ihm droht? Die Pastorin aber sieht nur einen Weg vor sich, den Weg der Pflicht. Sie sagt es ihm auch. „ Und was wirst du sagen, wenn ich erschossen
werde?“ fragte sie der Gatte. „Ich hoffe“, lautet die Antwort, „daß Gott mir dann die Kraft geben wird, es zu tragen.“ Doch sie bittet den Gatten, ihr bis zum anderen Morgen noch Zeit zu lassen; denn sie muß
alles noch einmal vor Gott bringen. Als sie am nächsten Morgen erwacht, greift sie nach dem Neuen Testament, um hier Licht zu suchen,
den rechten Weg zu finden.

„Ich bin der Gute Hirte“, liest sie Johannes 10, 12.
„Der Gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. Der
Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe
nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt
die Schafe und fleucht; und der Wolf erhascht und
zerstreut die Schafe. Der Mietling aber fleucht; denn
er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht.“

Hier ist Traugott gemeint! Er ist der Hirte einer
ihm anvertrauten Herde, die vom Wolf bedroht wird. Er darf nicht weichen; denn sonst wird er zum Mietling. Sie sagt es ihrem Gatten, der seine Andacht hält. „Ja“, ist seine Antwort, „ich bin jetzt zur
selben Überzeugung gekommen.“

Seit dieser Stunde kennt er seinen Weg. Er geht ihn nun auch ohne Zögern. Wie hatte er doch seinem Bruder geschrieben? „Mir scheint, unser Verhalten in solcher Zeit wiegt überaus schwer. Der Wert des Hirtenstandes entscheidet sich ganz wesentlich in solchen Monaten nach dem Urteil der Gemeinde.“

Ist es nicht jetzt soweit? „ Auch die Pastoren verlassen uns“, heißt es. Und jene, die der Kirche fernstehen, ihr feindlich gesinnt sind, sie triumphieren: „Seht doch, was an ihnen dran ist!“

„ Unberechenbar groß ist die Bedeutung, wenn jetzt in einer Gemeinde ein Reichgottesarbeiter, der auf einen Teil der Gemeinde Einfluß hat,
wirklichen Einfluß, ruhig und tapfer aushält.“ Der Ernst der Entscheidung ist Hahn bewußt.

Römer 14, 7.8 ist sein Predigttext am dritten Advent:

„Denn unser keiner lebt ihm selber, und keiner
stirbt ihm selber. Leben wir, so leben wir dem
Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“

Römer 14.7 – 8


In diesem Sinne hat auch Hahn sein Schicksal in die Hand des Herrn gelegt. Das Bewußtsein, des Herrn zu sein, gibt ihm Kraft.
Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl; das macht das Herze still und friedevoll . . .

Die rote Flut

Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr

Matthäus 5.10


Nun überstürzen sich die Ereignisse. Die rote Flut ergießt sich über das Land, sie steht auch vor den Toren der alten Universitätsstadt, bereit, sie in ihren Strudeln zu begraben. Zu gering ist die Zahl derer, die sich zum Widerstand sammeln, um der Flut Einhalt gebieten zu können. Sie ziehen sich zurück. Kampflos halten die Bolschewiken in der Nacht auf
den vierten Advent ihren Einzug in die Stadt. Furcht lähmt die Herzen der Bürger; denn schon werden die ersten Verhaftungen bekannt, fallen die
ersten Opfer unter den Kugeln der Roten, wie eh und je, wenn die Russen kommen …

Wie schwer ist es, jetzt noch an das Licht der Weihnacht zu glauben! In vielen Herzen wird es dunkel. Jeder Tag kann neue Opfer fordern.
Hahn versucht mit den Seinen, die Adventszeit nach Möglichkeit zu nutzen. Er tröstet und stärkt die Zurückgebliebenen und bittet von der Kanzel um Lebensmittel zur Verteilung an Notleidende. Und wie vielen kann geholfen werden! In wie viele Häuser und Herzen fällt ein Schimmer des Glanzes der Weihnacht!

Am Weihnachtsabenrl strahlen die Lichterbäume in der Kirche, hell tönen die Stimmen des Chores.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Friede auf Erden?

Was sich draußen abspielt, scheint so gar nicht zu den Worten der Verkündigung zu passen, scheint in schroffem Gegensatz zu ihr zu stehen.

Wir müssen es viel mehr lernen, im Geist und im Sinn Calvins zu denken. Dieser sagt: ,Gott ist immer gerecht, in all seinem Tun, wir dürfen ihn
nie kritisieren!‘ Die Greueltaten der Bolschewiken sind auch als strafgericht Gottes, als Folge der großen Gesamtschuld der Völker zu ver
stehen. •

Einen Anfang und einen Teil dieses göttlichen
Strafgerichts sieht Hahn in der russischen Revolution mit all ihren Schrecken auch für das Balt ikum. Welche Botschaft hat die Christenheit in solcher Stunde auszurichten?, lautet die Frage, um die er
ringt. Welchen Weg hat Gott der Christenheit bereitet? Welchen Dienst erwartet er von seinen Dienern?

Am Abend des ersten Feiertages findet die Einsargung des ersten Opfers der Bolschewiken statt. Tiefer Ernst liegt über dem Weihnachtsgottesdienst dieses Tages, den Hahn mit den Worten beginnt:

Wie war einst unser Weihnachten so licht, so glücklich und schön, so traulich, warm und duftigl Und wie ist es heute? Nach allem, was wir
in diesen Tagen erlebt, – verletzt es nicht ge· radezu das Gemüt, von Weihnachtsfreude überhaupt zu sprechen? „

Doch dann fährt er fort:
„ Im Gegensatz hierzu sei mit ganzem Ernst an viele, am Ende an die meisten von uns, die Frage gerichtet: Sag, willst du nicht endlich einmal anfangen, wirklich Weihnachten zu feiern, und das gerade jetzt? Hast du überhaupt jemals echte Weihnachten gehabt? War es nicht immer nur
eine Freude am kleinen, äußerlichen Weihnachtsflitter, und soll nicht endlich einmal die große Weihnachtsfreude angehen? „

Gerade wir, führt Hahn aus, seien in unserer Nottage doch besonders vorbereitet für eine echte Weihnachtsfeier. Das Weihnachtskind ward geboren insonderheit für die Armen und Elenden. Wir feiern
heute die Geburt des Freundes aller Armen. Das geht ja unmittelbar uns an. Und das andere, daß Gott sich Hirten als Zeugen der ersten und aller Weihnacht erwählt, ungebildete, einfältige Hirten, bedeu·
tet das nicht, daß wir heute Weihnachten innerlich
näher stehen als je zuvor?

Weder der russische noch der deutsche Kaiser war je mein Herr, und immer haben mit mir wohl manche es vermieden, den einen oder anderen ,meinen Herrn‘ zu nennen, so treu ergeben wir
ihnen waren. Der Herr ist unser Heiland, er ist der Messias, der Erfüller des höchsten Hoffens und Sehnens der Menschheit.

Schon in den folgenden Tagen kündigen sich weitere schwere Prüfungen an. Während in der Natur die Sonne ihren tiefsten Stand bereits überschritten hat und sich anschickt, einem neuen Frühling entgegenzugehen, und die Tage Schritt um Schritt länger zu werden beginnen, senkt sich immer tieferes Dunkel über die verstörte, aufgeschreckte Menschheit. Am Sonntag nach Weihnachten steht Hahn zum letztenmal auf seiner Kanzel.

.Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns,daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch ihn leben sollen. Darin steht die Liebe: nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern
daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur
Versöhnung für unsere Sünden.“
Diesen Text aus –

1. Johannes 4.9 – 10


Zwei Tage vor Jahresschluß verbieten die Bolschewiken die Gottesdienste. Jede gottesdienstliche Handlung, auch Taufen, Trauungen und Beerdigungen, werden bei Androhung strengster Strafen untersagt. Religion ist Opium für das Volk, lautet ein bekannter Lehrsatz des Bolschewismus. Sie ziehen nun auch in Dorpat die Konsequenzen, und die Bevölkerung beugt sich der Gewalt und dem Terror. ommunisten halten Volksreden von den Kanzeln der Kirchen, lästern Gott und verspotten alles Heilige. Ein Maskenball in der Kirche wird angekündigt. Die Erregung ist groß; aber niemand wagt es, gegen die
Gewalt aufzutreten.

„Sämtliche Geistliche aller Konfessionen haben
das Land binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen.“

Eine Zeitungsnotiz nur, weiter nichts! Sie kommt aus Moskau. Wenige Worte nur, und doch, von welch weittragender Bedeutung, welcher Schwere! Vogelfrei! Zum zweitenmale innerhalb eines Jahres

Verhaftet

Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider
mich!

(Paul Gerhardt)

Am Neujahrsmorgen 1919 erwacht Hahn zum letztenmal in seinem Pastorat. Dann verläßt er das Haus, um sich vor den Bolschewiken zu verbergen; denn schon werden die ersten Geistlichen verhaftet.
Er hält eine letzte Andacht mit den Seinen über das Wort: „ Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen u und spricht den Segen. Dann küßt er jeden einzeln zum Abschied und verläßt das Haus. . .

Jede Nacht verbringt er in einem anderen Hause. Er leidet sehr darunter, auch ist es nicht leicht, ein geeignetes Unterkommen zu finden; denn so gern die Gemeindeglieder auch ihren Pastor bei sich aufnehmen, so fürchten sie doch mit Recht schlimmste Folgen, wenn er bei ihnen gefunden werden sollte. Am 3. Januar besucht ihn seine Gattin im Notquartier. Als sie an seine Tür klopft, eilt er ihr entgegen. Er hält gerade eine Neujahrsandacht über

„So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand
Gottes, daß er euch erhöhe zu seiner Zeit! Alle eure
Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch.“

1. Petrus 5.6 – 7:


Es ist das letzte Mal, daß die Gattin Gottes Wort aus seinem Munde hört. Dann erzählt ihr Traugott, er habe eingesehen, in eine wie gefährdete Lage er das Haus bringe, in dem er sich befinde. Ob es nicht
richtiger sei, nach Hause zurückzukehren, zumal ein Verstecken sowieso nutzlos sei.

„ Eine große Freude ging durch mein Herz. So
waren wir zu demselben Resultat gekommen. Ich sagte Traugott, daß ich dasselbe gewünscht hätte. ,Warum?‘ fragte er. ,Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, der wird’s
behalten‘ (Mark. 8, 35), sagte ich.

Es käme mir richtiger vor, offen seinen Mann zu stehen. Wir waren
beide ganz glücklich und fingen an, uns auf das Nachhausekommen zu freuen.“


Als die Frau des Hauses eintritt, sagt ihr Hahn: „ Wir haben eben beschlossen, daß ich nach Hause zurückgehe; meine Frau meint auch, es sei tapferer und richtiger.“

Es wird abgemacht, daß er gleich nach dem Mittagessen nach Hause kommen solle. Dann trennen sich die Ehegatten, und die Pastorin kehrt heim.

„ Aber gleich bei den ersten Schritten stutzte ich. Die Straße herauf kam ein unheimlicher Zug -schwerbewaffnete russische Soldaten mit hohen Pelzmützen, von wildem Aussehen, mit Flinten, Stangen und Messern. An ihrer Spitze ging neben dem Führer ein langer, schwarzgekleideter Zivilist, der lebhaft sprach und umherzeigte – Judas!“

Als sie zu Hause ist, steht alsbald ein wilder Soldat mit aufgepflanztem Bajonett vor der Hofpforte. Unterdessen wird Hahn verhaftet und abgeführt. Er hat das Haus, das ihm Aufnahme gewährt, nicht
mehr rechtzeitig verlassen können. Die Pastorin erhält Nachricht und stürzt hinaus. Sie sieht den Zug der Gefangenen vor dem Gebäude, in dem der rote Stab sich befindet. Professor Baron Stromberg befindet sich auch unter den Verhafteten. Dann werden die Männer, umgeben von Soldaten, schimpfenden Weibern und höhnenden Straßenjungen, durch die Straßen der Stadt zum Polizeigebäude am Ufer des
Embach geführt.

Augenzeugen haben berichtet, es sei ein erhebender Anblick gewesen, wie Hahn erhobenen Hauptes, mannhaft und fest in die Gefangenschaft gegangen sei.

„Es ist schön, daß jeder Zufall hier ausgeschlossen ist•, hat er seinem Mitgefangenen Professor Baron Stromberg gegenüber geäußert. „Eben hatten wir gerade die Rückkehr beschlossen, da kamen die Häscher und vereitelten sie. Bei Gott gibt es keinen Zufall. Alles Geschehen ist Gottes Rat. Er läßt auch das Böse sich unter Umständen auswirken, obgleich es ja eigentlich nicht gottgewollt ist, von Gott aber benutzt wird, um es seinen Zwecken dienstbar zu machen. Wie einst auf
Golgatha.•

Am späten Abend des 3. Januars werden die Gefangenen in das Haus des „Kreditsystems“ geschafft und in eine Zelle gestoßen, in der sich schon eine große Anzahl Gefangener befindet.

Am folgenden Morgen erhält die Pastorin einen Zettel, von Traugott Hahn in russischer Sprache geschrieben: „Professor Hahn befindet sich im Kreditsystem und bittet, ihm dorthin das Essen zu schicken.•
Die Wächter erlauben der Pastorin, mit ihrem Gatten zu sprechen. Sein Name wird aufgerufen, er erscheint an der Tür. Wenige Worte, in russischer Sprache, werden gewechselt. Er fragt nach den Kindern, und ob alles ruhig sei zu Hause. Doch dann werden die Wächter ungeduldig.
„Do swidaniel (Auf Wiedersehen!) rief ich noch.

,Do swidanie‘, antwortete er, und schon verschwand er hinter der Tür. Ja, – auf Wiedersehen! – – aber nicht mehr auf dieser Erde!“

Zu Hause im Pastorat angelangt, erkrankt die Pastorin schwer an der Grippe und muß das Bett hüten. Sie kann keine Schritte mehr für ihren Mann unternehmen, kann ihm nun auch das Essen nicht
mehr bringen.

Noch einmal erhält sie einen Zettel von seiner Hand, in dem er um das Buch .Alttestamentliche Bilder“ von Spurgeon bittet. Dann nichts mehr
Im Gefängnis

Wer weiß, wie nahe mir mein Ende …

(Ämilie Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt)


Was sich in den zehn Tagen vom 4. bis zum 14. Januar im Gefängnis zugetragen hat, wird erst bekannt, als einige der Gefangenen entlassen werden und am 1 4. Januar die rote Schreckensherrschaft in
Dorpat ein Ende findet. In den ersten Tagen war die Stimmung noch nicht so gedrückt, wie dies zuletzt der Fall ist. Manch -wertvolles und anregendes Gespräch wird geführt. Einige der Gefangenen berichten aus ihrem Leben, Hahn erzählt nette kleine Geschichten von seinen
Kindern. Kommt die Rede auf religiöse Fragen, bildet Hahn den Mittelpunkt der Unterhaltung. Doch jeden Tag werden neue Gefangene eingeliefert; es sind schließlich gegen achtzig Mann in der kleinen
Zelle. Die verschiedenartigsten Menschen kommen hier zusammen. Man weiß nicht, vielleicht sind sogar Spitzel unter ihnen. Gemeinsame Andachten und eine Unterhaltung in kleinem Kreise, wie zu Anfang,
sind I).icht mehr möglich. Nur mit Professor Baron Stromberg stellt Hahn eine Gemeinschaft auf die Weise her, daß sie verabreden, in der Bibel das gleiche zu lesen.

Denn seine kleine Taschenbibel hat Hahn behalten dürfen, auch ein griechisches Neues Testament.
„ Tausendmal lieber möchte ich hungern als ohne Bibel sein“, hat er Stromberg gegenüber geäußert. Die beiden Bücher sind später der Pastorin zurück.· gegeben worden. Sie schlugen sich beide an den
Stellen, die Hahn besonders oft gelesen hat, von selbst auf. Es waren dies das Hohepriesterliche Gebet und 2. Korinther 12: Laß dir an meiner Gnade
genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

in jener Zeit des Blutzeugentodes der baltischen Christen entstand wirkliche ökumenische Kirche sichtbar wurde. Als Traugott Hahn sich zum letzten Gang rüstete, hat er in seiner Gefängniszelle mit dem russisch-orthodoxen Bischof Platon von Dorpat das griechische Neue Testament aufgeschlagen, und dann haben sie miteinander gebetet … “ ·.)
Ja, hier im Gefängnis fallen die Mauern, zwischen den Konfessionen von Menschenhand errichtet! Hier treten, angesichts des Todes, selbst die Gegensätze zwischen der griechisch-orthodoxen und der evangelisch-lutherischen Kirche zurück,

Ueber dem griechischen Neuen Testament sucht Hahn Gemeinschaft mit dem russischen Bischof Platon und mit den anderen russischen Priestern, die
gleich ihm in derselben Zelle interniert sind. Als am
Weihnachtsabend alten Stils die russischen Geistlichen in einer Ecke kauern und leise ihre Kirchenlieder singen, da setzt sich Hahn zu ihnen und singt mit.

Am 9. Januar werden mehrere der Gefangenen aus dem Gefängnis gerufen und durch die Straßen der Stadt bis an den Embach geführt. Hier werden sie auf dem Eise des Flusses aufgestellt und erschossen.

Ihre Leichen stößt man in Eislöcher. Dreißig Personen sind es, die auf diese Weise den Tod finden. Tags darauf wird Hahn zum Verhör befohlen. Einzelheiten sind nicht bekanntgeworden; doch muß er
Furchtbares erlebt haben.

„Ich war verurteilt, ehe ich noch ein Wort gesagt.
Ihr werdet sehen, sie erschießen mich.“

Am 1 1. Januar wird Professor Baron Stromberg
aus dem Gefängnis entlassen. Er verabschiedet sich
von Hahn, der ihm wortlos, mit tieftraurigem Gesicht die Hand reicht.
„ Warum bist du so traurig?“ hat ihn Stromberg
gefragt. „Du kommst sicher auch bald frei.“
Doch Hahn schweigt; er weiß es besser. Nun fühlt er sich der letzten irdischen Stütze beraubt. Er hat seitdem kaum mehr gesprochen. Seine Bibel ist der einzige Freund, der ihm noch geblieben. In sie vertieft er sich mehr und mehr.

Am 13. Januar wird Hahn gemeinsam mit Bischof Platon in aller Frühe aufgerufen und zu einem Abort geführt, den die beiden Gefangenen ohne jegliche Hilfsmittel unter dem Hohngelächter der Wächter
reinigen müssen. Einige Tage zuvor war Stromberg das gleiche widerfahren. So ist Hahn innerlich vorbereitet, als auch ihm diese Erniedrigung zugedacht wird.

Einern Mitgefangenen, der an diesem Tage entlassen wird, trägt Hahn Grüße an die Seinen und an seine Gemeinde auf: „Grüßen Sie meine Familie und meine Gemeinde von mir“, sind seine Worte, „und sagen Sie ihr, daß ich es nicht bedauere, bei ihr geblieben zu seinl Meine Frau ist so tapfer, ich weiß, sie wird sich ebenso stellen.“

Tod

Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich
habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben
gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone
der Gerechtigkeit

2. Timotheus 4. 7 – 8

Dienstag, den 14. Januar 1919 – es ist der Neujahrsmorgen nach altem Stil – nahen die beefreierder Stadt, um sie von der roten Herrschaft zu er·
lösen. Auch im Gefängnis ist alles in erregter Erwartung. Die Fensterläden werden von den Wächtern geschlossen. Die Gefangenen müssen sich zum Appell aufstellen.

Dann tritt ein Kommissar herein. Er ist von zwei Bewaffneten begleitet. Er hält eine Liste in seiner Hand, ruft den Bischof Platon auf. Er befiehlt ihm,
seine Ueberkleider anzulegen und ihm zu folgen. Es verstreichen einige bange Minuten. Dann erdröhnt im Keller unter den Gefangenen ein dumpfer Schuß. Der Kommissar erscheint wieder. Wieder wird ein
Gefangener aufgerufen und fortgeführt. Und wiede{ hört man einen dumpfen Knall. Nun wissen sie es alle, was ihnen bevorsteht.
Hahn ist der vierte oder fünfte, der aufgerufen wird. Er erhebt sich schweigend. Sein Antlitz trägt einen Ausdruck, als sei er schon nicht mehr da, schon entrückt von dieser Erde. Er nimmt seinen Mantel
und verläßt mit langen Schritten die Zelle. Man hat ihn noch auf dem Hof des Gefängnisses gesehen. Die Hände auf der Brust gekreuzt, hat er sich suchend umgeblickt und dann sich bücken müssen, um die
niedrige Treppe zum Keller hinunterzusteigen, wo der Tod auf ihn wartete

Den Plan, alle ihre Gefangenen niederzumetzeln, können die Bolsdlewiken nidlt mehr ausführen; denn schon nahen die Befreier der Stadt. Als ein beherzter Mann zum Gefängnis eilt, mit einem Beil an
die Tür sdllägt und ruft: „Was macht ihr? Rettet eudl selbst, die Weißen sind dalu, lassen die Roten von ihren Opfern ab. In wilder Fludlt, teils reitend, teils in Sdllitten, vollgepackt mit gestohlenem Gut, verlassen sie die Stadt. Dann rücken die Befreier ein.

Viele Menschenleben werden auf diese Weise ge rettet. Dreihundert Männer und Frauen können lebend das Gefängnis verlassen.
Für dreiundzwanzig Mensdlen aber kommen die Befreier zu spät. Unter ihnen, die ihr Leben lassen mußten, befindet sich Traugott Hahn

Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun anl
Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit;
denn ihre Werke folgen ihnen nach.

Offenbarung 14.13