Welche Bücher gehören zum alten Testament?

Eine Zusammenfassung der Argumente nach Roger Liebi

In gewissen Bibelausgaben finden sich zwischen den Büchern des Alten und denen des Neuen Testaments zusätzliche Schriften eingereiht, die man allgemein als „Apokryphen“ bezeichnet. Gehören diese Bücher zur Bibel oder nicht?

Im Alten Israel wurden diese Bücher klar abgelehnt,[1] weil sie im Gegensatz zu den Schriften des AT, nicht von beglaubigten Propheten geschrieben worden sind. Ein beglaubigter Prophet in Israel musste in seinen Aussagen als Prophet nachweislich unfehlbar sein (5. Mose 18,20-22; Jeremia 28,9). Seine Nahzeit-Prophetien mussten alle 100% in Erfüllung gehen und richtig sein. Ferner durfte er nichts sagen, was im Widerspruch zum Gesetz Mose stand und das zum Abfall von dem Gott, der sich im Gesetz Mose geoffenbart hatte, führen konnte (5. Mose 13,1-5).

Bei den Schreibern des AT handelte es sich stets um Propheten: Mose, der Schreiber des Gesetzes (5 Bücher Mose), war gemäß 5. Mose 18,15 ein Prophet. Im Alten Israel war es üblich, alle weiteren Bücher neben dem Gesetz als „die Propheten“ zu bezeichnen (vgl. z.B. Matthäus 22,40).Im Babylonischen Talmud, Traktat Sanhedrin 11a, heißt es:

„Nachdem die letzten Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi gestorben waren, wich der Heilige Geist von Israel.“

In diesem Zusammenhang ist auch die Klage über das Fehlen von Propheten in Israel, wie sie sich in dem apokryphen (!) Buch 1. Makkabäer findet, besonders erwähnenswert (Kap. 9,27).

Die Apokryphen weisen demnach selbst darauf hin, dass es in der Zeit der Apokryphen gar keine Propheten mehr gab!

Ferner sind noch folgende Punkte zu beachten:

  • Die Apokryphen erheben selbst gar keinen Anspruch darauf, von Gott inspirierte Schriften zu sein.[2]
  • Sie enthalten zudem zahlreiche historische, ethische und lehrmäßige Fehler.[3]
  • Im NT findet sich kein einziger Fall, wo ein apokryphes Buch als autoritative, inspirierte Schrift zitiert wird.
  • Jesus Christus anerkannte den Kanon des AT genau in dem Umfang, wie er im orthodoxen Judentum damals und auch heute noch als autoritativ angesehen wurde bzw. angesehen wird.[5]
  • Bücher, die nicht zum Kanon gehörten, wie oben bereits erläutert, durften nicht auf den Tempelberg genommen werden.[6] So war es auch verboten, apokryphe Bücher in die Tempelvorhöfe zu bringen. Der Tempel und seine Ordnung zwangen jeden Juden, sich über den genauen Umfang der biblischen Bücher im Klaren zu sein! Mit den Homer zugeschriebenen Büchern „Ilias“ und „Odyssee“ in der Hand, um ein konkretes Beispiel zu nennen, wäre niemandem, der zum Tempel in Jerusalem gehen wollte, von den levitischen Tempelwächtern Einlass gewährt worden. Genauso wäre man auch abgewiesen worden, wenn man eines der apokryphen Bücher hätte mit auf den Tempelberg nehmen wollen!

Nach Maleachi, dem letzten Propheten, wurden in Israel auch Bücher verfasst, die wir heute als „Pseudepigraphen“ kennen. Dieser Begriff bedeutet „Schrift unter falschem Namen“. So entstanden z.B. das Buch „Henoch“ oder „die Psalmen Salomos“, und viele andere Bücher, die angebliche aus grauer Vorzeit stammten. Auch diese betrügerischen Schriften fanden jedoch keine Aufnahme in die hebräische Bibel des AT. Das Judentum als Ganzes fiel auf keinen einzigen solchen Betrug herein.Paulus erläutert in Römer 3,2, dass dem jüdischen Volk die Aussprüche Gottes im AT anvertraut worden waren. Darum hatte das Judentum die Aufgabe, alle Propheten gemäß den genannten Kriterien zu testen, und zu erkennen, welche Bücher zum AT gehören und welche nicht.

In diesem Licht besehen, wird deutlich, dass das, was auf dem Konzil von Trient (1545 – 1563) geschah, völlig abwegig war: Damals stellte die Katholische Kirche die Apokryphen offiziell den biblischen Schriften gleich. Sie kam damit 2000 Jahre zu spät. Zudem waren sie ja gar nicht in der Lage, diese Autoren, dem prophetischen Test zu unterziehen, wie das Israel damals bereits getan hatte.

Auch im NT werden pseudepigraphe Schriften nicht ein einziges Mal als Heilige Schrift zitiert. Das Henoch-Zitat in Judas 14 stammt nicht aus dem Buch Henoch!

FUSSNOTEN:
  • [1] Der jüdische Historiker Josephus Flavius (1. Jh. n.Chr.) bringt in seinem Werk „Contra Apion“ (I,8) die allgemeine jüdische Sicht zum Ausdruck. Er macht klar, dass die biblischen Bücher von Mose bis in die Zeit Artaxerxes (= Zeit von Maleachi!) geschrieben wurden und dass die Schriften aus der Zeit danach nicht diese göttliche Autorität haben.
  • [2] Vielmehr versteht sich z.B. das 2. Buch der Makkabäer als Unterhaltungslektüre (2. Makkabäer 15,38-40). Das Buch Sirach versteht sich als praktischer Kommentar zum AT (vgl. den Prolog).
  • [3] Vgl. Nouveau Dictionnaire Biblique, Saint-Légier sur Vevey, 4e éd. 1979, S. 45-47.Pache: Inspiration und Autorität der Bibel, a.a.O., S. 167-168.
  • [4] Der Begriff „Kanon“ bezeichnet die Sammlung aller inspirierten Bücher, die zusammen die Heilige Schrift ausmachen.
  • [5] In Matthäus 23,35 spricht der Herr Jesus über die Märtyrer „von Abel bis Sacharja“. Abel findet sich im ersten Buch der Bibel (1. Mose 4) und Sacharja im letzten Buch, gemäß der jüdischen Anordnung der Bibelbücher (2. Chronika 24). Ferner sei auf Lukas 24,44 hingewiesen, wo der Herr die im Judentum übliche Dreiteilung des damals anerkannten Kanons des AT übernimmt. Welche Bücher der Kanon im Einzelnen umfasste, stand zurzeit Jesu im orthodoxen Judentum fest. Dies geht z.B. aus dem Zeugnis von Josephus Flavius hervor (Contra Apion I,8). Hieran wurde später nie mehr etwas verändert.
  • [6] R.T. Beckwith: Formation of the Hebrew Bible, SS. 41-42.
  • [7] Nach 1. Korinther 12,28 haben die Propheten des NT den zweiten Platz nach den Aposteln. Man beachte ferner die Reihenfolge in Epheser 2,20 und 4,11. Eines der wesentlichen Kennzeichen der ersten Christen bestand darin, dass sie in der Lehre der Apostel verharrten (Apostelgeschichte 2,42).
  • [8] Vgl. 2. Timotheus 4,11; 1. Petrus 5,13; 1. Korinther 9,5.
  • [9] Vgl. 1. Timotheus 5,18: Hier wird Lukas 10,7 zitiert und zusammen mit einem Zitat aus 5. Mose 25,4 als Aussage „der Schrift“ deklariert! In diesem Zusammenhang, obwohl es hier um die Anerkennung eines Apostels durch einen anderen Apostel geht, ist auch noch die Bestätigung der Briefe des Apostels Paulus durch Petrus in 2. Petrus 3,15-16 erwähnenswert. Diese Briefe werden hier zu „den Schriften“ (d.h. zu den kanonischen Büchern) gerechnet! Der Vers 15 ist zudem ein Hinweis darauf, dass der Hebräerbrief von Paulus geschrieben worden ist. Die älteste Paulushandschrift, der „P46“ aus dem 1. Jh., schreibt diesen Brief auch Paulus zu; vgl. R. Liebi: Paulusbriefe neu bestätigt, a.a.O., S. 458.
  • [10] Vgl. zum Problem der Fälschungen z.B. 2. Thessalonicher 2,2 und 3,17-18 (Handschrift des Paulus als Erkennungszeichen der Echtheit seiner Briefe!).
  • [11] „ökumenisch“ = weltumfassend.
  • [12] Pache: Inspiration und Autorität der Bibel, a.a.O., Kapitel 11.Glashower, Ouweneel: So entstand die Bibel, a.a.O., Kapitel 5.