Dietrich Bonhoeffer – Nachfolge – der reiche Jüngling

Als Jesus vom rei­chen Jüng­ling frei­wil­li­ge Armut for­der­te, da wuß­te die­ser, daß es hier nur Gehor­sam oder Unge­hor­sam gab. Als Levi vom Zoll, Petrus von den Net­zen geru­fen wur­de, da war es nicht zwei­fel­haft, daß es Jesus mit die­sem Ruf ernst war. Sie soll­ten alles ver­las­sen und nach­fol­gen. Als Petrus auf das schwan­ken­de Meer geru­fen wird, da muß er auf­ste­hen und den Schritt wagen. Es war in all dem nur eines gefor­dert, sich auf das Wort Jesu Chris­ti zu ver­las­sen, die­ses Wort für einen trag­fä­hi­ge­ren Boden zu hal­ten als alle Sicher­hei­ten der Welt. Die Mäch­te, die sich zwi­schen das Wort Jesu und den Gehor­sam stel­len woll­ten, waren damals eben­so groß wie heu­te. Die Ver­nunft wider­sprach, das Gewis­sen, die Ver­ant­wor­tung, die Pie­tät, ja selbst das Gesetz und das Schrift­prin­zip tra­ten ins Mit­tel, um die­ses Äußers­te, die­se gesetz­lo­se »Schwär­me­rei« zu ver­hü­ten. Aber der Ruf Jesu durch­brach die­ses alles und schuf sich Gehor­sam. Es war Got­tes eige­nes Wort. Ein­fäl­ti­ger Gehor­sam war gefordert.

Wür­de Jesus Chris­tus durch die hei­li­ge Schrift heu­te zu einem von uns so spre­chen, so wür­den wir wohl fol­gen­der­ma­ßen argu­men­tie­ren: Jesus befiehlt etwas ganz Bestimm­tes, das ist wahr. Wenn aber Jesus befiehlt, dann soll ich wis­sen, daß er nie­mals gesetz­li­chen Gehor­sam for­dert, son­dern daß er nur eines von mir will, näm­lich daß ich glau­be. Mein Glau­be aber ist nicht gebun­den an Armut oder Reich­tum oder ähn­li­ches, viel­mehr kann ich im Glau­ben bei­des, arm und reich sein. Nicht dar­auf kommt es an, daß ich kei­ne Güter habe, son­dern daß ich die Güter so habe, als hät­te ich sie nicht, und daß ich inner­lich von ihnen frei bin, daß ich mein Herz nicht an mei­nen Reich­tum hän­ge. Also, Jesus sagt etwa: Ver­kau­fe dei­ne Güter! Jesus meint aber: Nicht dar­auf kommt es in Wahr­heit an, daß du das nun auch äußer­lich voll­ziehst, viel­mehr sollst du die Güter ruhig behal­ten, aber du sollst sie haben, als hät­test du sie nicht. Hän­ge dein Herz nicht an die Güter. Unser Gehor­sam gegen das Wort Jesu wür­de also dar­in bestehen, daß wir den ein­fäl­ti­gen Gehor­sam als gesetz­lich gera­de ver­wei­gern, um dann »im Glau­ben« gehor­sam zu sein. Damit unter­schei­den wir uns vom rei­chen Jüng­ling. Er ver­mag sich in sei­ner Trau­rig­keit nicht damit zu beru­hi­gen, daß er zu sich sag­te: ich will nun zwar trotz des Wor­tes Jesu reich blei­ben, aber ich will inner­lich von mei­nem Reich­tum frei wer­den und mich in aller mei­ner Unzu­läng­lich­keit der Ver­ge­bung der Sün­de trös­ten und im Glau­ben mit Jesus Gemein­schaft haben; son­dern er ging trau­rig davon und war mit dem Gehor­sam um den Glau­ben gekom­men. Dar­in war der Jüng­ling ganz auf­rich­tig. Er trenn­te sich von Jesus, und gewiß hat die­se Auf­rich­tig­keit grö­ße­re Ver­hei­ßung als eine Schein­ge­mein­schaft mit Jesus, die auf dem Unge­hor­sam beruht. Offen­bar stand es nach der Mei­nung Jesu mit dem Jüng­ling so, daß die­ser sich eben nicht inner­lich von sei­nem Reich­tum frei­ma­chen konn­te. Ver­mut­lich hat­te der Jüng­ling als erns­ter und stre­ben­der Mensch das tau­send­mal selbst ver­sucht. Daß es miß­lang, zeigt die Tat­sa­che, daß er im ent­schei­den­den Augen­blick dem Wort Jesu nicht zu gehor­chen ver­moch­te. Dar­in war also der Jüng­ling auf­rich­tig. Wir unter­schei­den uns aber mit unse­rer Argu­men­ta­ti­on vom bibli­schen Hörer des Wor­tes Jesu über­haupt. Sagt Jesus zu die­sem: Laß alles ande­re zurück und fol­ge mir nach, geh aus dei­nem Beruf, aus dei­ner Fami­lie, aus dei­nem Volk und Vater­haus!, so hat­te die­ser gewußt: Auf die­sen Ruf gibt es nur die Ant­wort des ein­fäl­ti­gen Gehor­sams und dies dar­um, weil eben die­sem Gehor­sam die Ver­hei­ßung der Gemein­schaft mit Jesus gege­ben ist. Wir aber wür­den sagen: Der Ruf Jesu ist zwar »unbe­dingt ernst­zu­neh­men«, aber der wah­re Gehor­sam gegen ihn besteht dar­in, daß ich nun gera­de in mei­nem Beruf, in mei­ner Fami­lie blei­be und ihm dort die­ne, und zwar in wah­rer inne­rer Frei­heit. Jesus wür­de also rufen: Her­aus! – Wir ver­ste­hen ihn aber, wie er es eigent­lich meint: Bleib drin­nen!, frei­lich als einer, der inner­lich her­aus­ge­tre­ten ist. Oder Jesus wür­de sagen: Sor­get nicht; wir aber wür­den ver­ste­hen: Natür­lich müs­sen wir sor­gen und arbei­ten für die Unsern und für uns. Alles ande­re wäre ja unver­ant­wort­lich. Aber inner­lich sol­len wir frei­lich von sol­cher Sor­ge frei sein. Jesus wür­de sagen: So dir jemand einen Streich gibt auf die rech­te Backe, so bie­te ihm auch die ande­re dar; wir wür­den ver­ste­he: Gera­de im Kampf, gera­de im Wider­schla­gen soll erst die wah­re Lie­be zum Bru­der ganz groß wer­den. Jesus wür­de sagen: Trach­tet zuerst nach dem Reich Got­tes; wir wür­den ver­ste­hen: Natür­lich hät­ten wir zuerst nach aller­lei ande­ren Din­gen zu trach­ten. Wie soll­ten wir sonst exis­tie­ren? Gemeint sei eben die letz­te inne­re Bereit­schaft, für das Reich Got­tes alles ein­zu­set­zen. Es ist über­all das­sel­be, näm­lich die bewuß­te Auf­he­bung des ein­fäl­ti­gen, wört­li­chen Gehorsams.

Wie ist sol­che Ver­keh­rung mög­lich? Was ist gesche­hen, daß das Wort Jesu sich die­ses Spiel gefal­len las­sen muß? daß es so dem Spott der Welt aus­ge­lie­fert wird? Wo immer sonst in der Welt Befeh­le aus­ge­ge­ben wer­den, sind die Ver­hält­nis­se klar. Ein Vater sagt zu sei­nem Kind: Geh ins Bett!, so weiß das Kind wohl, wor­an es ist. Ein pseu­do­theo­lo­gisch dres­sier­tes Kind aber müß­te nun fol­gen­der­ma­ßen argu­men­tie­ren: Der Vater sagt: Geh ins Bett. Er meint, du bist müde; er will nicht, daß ich müde bin. Ich kann über mei­ne Müdig­keit auch hin­weg­kom­men, indem ich spie­len gehe. Also, der Vater sagt zwar: Geh ins Bett!, er meint aber eigent­lich: Geh spie­len. Mit einer sol­chen Argu­men­ta­ti­on wür­de das Kind beim Vater, wür­de der Bür­ger bei der Obrig­keit auf eine sehr unmiß­ver­ständ­li­che Spra­che sto­ßen, näm­lich auf Stra­fe. Nur dem Befehl Jesu gegen­über soll das anders sein. Hier soll ein­fäl­ti­ges Gehor­chen ver­kehrt, ja Unge­hor­sam sein. Wie ist das möglich?

Es ist dadurch mög­lich, daß die­ser ver­kehr­ten Argu­men­ta­ti­on tat­säch­lich etwas ganz rich­ti­ges zugrun­de liegt. Der Befehl Jesu an den rei­chen Jüng­ling bzw. der Ruf in die Situa­ti­on, in der geglaubt wer­den kann, hat tat­säch­lich nur das eine Ziel, den Men­schen zum Glau­ben an ihn, d. h. in sei­ne Gemein­schaft zu rufen. Es hängt letz­ten Endes gar nichts an die­ser oder jener Tat des Men­schen, son­dern es hängt alles an dem Glau­ben an Jesus als den Sohn Got­tes und Mitt­ler. Es hängt letz­ten Endes aller­dings nichts an Armut oder Reich­tum, Ehe oder Ehe­lo­sig­keit, Beruf oder Nicht-Beruf, son­dern es hängt alles am Glau­ben. Soweit haben wir also ganz recht, es ist mög­lich, in Reich­tum und Besitz der Güter der Welt an Chris­tus zu glau­ben, so daß man die­se Güter hat, als hät­te man sie nicht. Aber die­se Mög­lich­keit ist eine letz­te Mög­lich­keit christ­li­cher Exis­tenz über­haupt, eine Mög­lich­keit ange­sichts der erns­ten Erwar­tung der unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Wie­der­kunft Chris­ti, und gera­de nicht die ers­te und ein­fäl­tigs­te Mög­lich­keit. Das para­do­xe Ver­ständ­nis der Gebo­te hat sein christ-liches Recht, aber es darf nie­mals dazu füh­ren, daß es das ein­fäl­ti­ge Ver­ständ­nis der Gebo­te auf­hebt. Es hat viel­mehr sein Recht und sei­ne Mög­lich­keit nur für den, der an irgend­ei­nem Punkt sei­nes Lebens mit dem ein­fäl­ti­gen Ver­ständ­nis schon ernst­ge­macht hat, der so in der Gemein­schaft Jesu, in der Nach­fol­ge, in der Erwar­tung des Endes steht. Es ist die unend­lich viel schwe­re­re, ja die mensch­lich gespro­chen unmög­li­che Mög­lich­keit, Jesus Ruf para­dox zu ver­ste­hen, und sie ist gera­de als sol­che dau­ernd in der äußers­ten Gefahr, in ihr Gegen­teil umzu­schla­gen und zum beque­men Aus­weg, zur Flucht vor dem kon­kre­ten Gehor­sam zu wer­den. Wer nicht weiß, daß es ihm unend­lich viel leich­ter wäre, das Gebot Jesu ein­fäl­tig zu ver­ste­hen und wört­lich zu gehor­chen, also etwa die Güter auf einen Befehl Jesu tat­säch­lich hin­zu­ge­ben, statt sie zu behal­ten, der hat kein Recht zu dem para­do­xen Ver­ständ­nis des Wor­tes Jesu. Es ist also not­wen­dig in dem para­do­xen Ver­ständ­nis des Gebo­tes Jesu das wört-liche immer mit eingeschlossen.

Der kon­kre­te Ruf Jesu und der ein­fäl­ti­ge Gehor­sam hat sei­nen unwi­der­ruf­li­chen Sinn. Jesus ruft damit in die kon­kre­te Situa­ti­on, in der ihm geglaubt wer­den kann; dar­um ruft er so kon­kret und will eben so ver­stan­den sein, weil er weiß, daß nur im kon­kre­ten Gehor­sam der Mensch frei wird zum Glau­ben. Wo der ein­fäl­ti­ge Gehor­sam grund­sätz­lich eli­mi­niert wird, dort ist aber­mals aus der teu­ren Gna­de des Rufes Jesu die bil­li­ge Gna­de der Selbst­recht­fer­ti­gung gewor­den. Dort ist aber damit auch ein fal­sches Gesetz auf­ge­rich­tet, das das Ohr gegen den kon­kre­ten Ruf Chris­ti ver­stockt. Die­ses fal­sche Gesetz ist das Gesetz der Welt, dem das Gesetz der Gna­de gegen­über­tritt und ent­spricht. Die Welt ist hier nicht die in Chris­tus über­wun­de­ne und in sei­ner Gemein­schaft täg­lich neu zu über-win­den­de, son­dern sie ist zum star­ren, undurch­brech­ba­ren prin­zi­pi­el­len Gesetz gewor­den. Gna­de aber ist dann auch nicht mehr das Geschenk des leben­di­gen Got­tes, in dem wir der Welt ent­ris­sen und in den Gehor­sam Chris­ti gestellt wer­den, son­dern sie ist ein all­ge­mei­nes gött­li­ches Gesetz, ein gött­li­ches Prin­zip, um des­sen Anwen­dung auf den Spe­zi­al­fall es allein noch geht. Der prin­zi­pi­el­le Kampf gegen »die Gesetz­lich­keit« des ein­fäl­ti­gen Gehor­sams rich­tet selbst das aller­ge­fähr­lichs­te Gesetz auf, das Gesetz der Welt und das Gesetz der Gna­de. Der prin­zi­pi­el­le Kampf gegen die Gesetz­lich­keit ist selbst am aller­ge­setz­lichs­ten. Gesetz­lich­keit wird allein über­wun­den durch den wirk­li­chen Gehor­sam gegen den gnä­di­gen Ruf Jesu in sei­ne Nach­fol­ge, in der das Gesetz durch Jesus selbst erfüllt und auf­ge­ho­ben ist.