Bertold Brecht – Biblische Bezüge in der Dreigroschenoper

Wach auf, du verrotteter Christ!
Mach dich an dein sündiges Leben!

Der Herrgott, für dich ist er Luft?
Er zeigt dir’s beim Jüngsten Gericht!

Dreimal hebt die „Dreigroschenoper” zum Finale an. Sie unterbrechen das Geschehen im Milieu der Londoner Gangsterwelt auf ganz markante Weise. Auch Weills Musik ändert ihren Charakter. Sie verläßt die frechen und mondänen Töne der Oper und fällt in den schweren Ernst von Chorälen.

Im Ersten Finale verkündet Peachum, mit der Bibel in den Händen:

Das Recht des Menschen ist’s auf dieser Erden
Da er doch nur kurz lebt, glücklich zu sein
Teilhaftig aller Lust der Welt zu werden
Zum Essen Brot zu kriegen und nicht einen Stein.
Das ist des Menschen nacktes Recht auf Erden.

Tragisch und kurz ist unser Leben, wir wissen’s aus der Bibel und von Brecht. Doch aus dieser Beobachtung leitet Brecht nun direkt ein Menschenrecht ab. Scharf und unerbittlich stellt er die soziale Frage der Zeit – und wieder in biblischem Gewand. Mit biblischem Ernst singt Peachum dann weiter:

Ein guter Mensch sein! Ja, wer wär’s nicht gern?
Sein Gut den Armen geben, warum nicht?
Wenn alle gut sind, ist Sein Reich nicht fern.
Wer säße nicht sehr gern in Seinem Licht?

Wir wären gut – anstatt so roh
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Hier taucht auch das neutestamentliche Bild des „guten Menschen” auf, das Brecht später noch oft verwendet. Auf die Spitze treibt Brecht die Satire, wenn Mackie Messer im Gefängnis über seinen verräterischen Freund, den Polizeichef Brown, berichtet: „Ich blickte ihn an, und er weinte bitterlich”, und fortfährt: „Den Trick habe ich aus der Bibel.” Er zitiert dabei den von Matthäus und Lukas beschriebenen Verrat Jesu durch Petrus.

Im Zweiten Dreigroschen-Finale folgt dann die Provokation.

Ihr Herren, die ihr uns lehrt wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an …

Gleich darauf nutzt er die biblische Legende von der Speisung der Fünftausend als Bild irdischer Gerechtigkeit:

Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.

Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.

Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.

Hier, am Schluß des 2.Akts, kommt noch etwas Neues hinzu. Brecht entwirft ein Menschenbild: Er bezeichnet den Menschen als einen Kerl, der den anderen „peinigt, abwürgt und frißt”, und der Chor schließt: „Der Mensch lebt nur von Missetat allein.”

Mit einem Choral beginnt die Oper, und mit einem Choral endet das Dritte und letzte Finale:

Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr; in Bälde
Erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt.
Bedenkt das Dunkel und die große Kälte
In diesem Tale, das von Jammer schallt.

An dieser Stelle verfällt Brecht in den Ton der großen Propheten: Er beschreibt die irdische Welt als ein Jammertal. Das Kidron-Tal oder Tal Josaphat („Gott wird richten”) ist in jüdischer und auch islamischer Vorstellung der Ort des Jüngsten Gerichts (Joel 4,2,14): „Es werden Scharen über Scharen sein im Tal der Entscheidung.”

Das angrenzende Hinnom-Tal war in kanaanitischer Zeit Stätte des Baals- und Moloch-Kults, in dem Kinder „durchs Feuer gingen”, also im Feuer geopfert wurden. Wegen dieser Barbarei drohte Jeremia seinem Volke (Jeremia 7,32; 19,6): „Tage kommen, spricht der Herr, da wird man nicht mehr sagen… Tal Ben-Hinnom, sondern Tal des Schlachtens.” Noch in israelitischer Zeit huldigte hier der weise König Salomo einem Heiligtum der Astarte, der großen Hure, dem „Scheusal der Sidonier” (2.Kön. 23,13), und die Könige Ahas und Manasse opferten hier ihre Söhne (2.Kön. 21,6; 2.Chron. 28,3; 33,6). Dieser grausige Ort wurde von Juden und Arabern auch als der Eingang der Hölle betrachtet.

Dies also ist das „Tal, das von Jammer schallt”, als das die „Dreigroschenoper” an ihrem Schluß die Welt bezeichnet.

Den „Dreigroschenfilm” hingegen beendet Brecht 1930 mit folgender Schlußstrophe:

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.

Das Bild des Reichs des Lichts und der Finsternis durchzieht die Bibel von der Schöpfungsgeschichte über Hiob, die Propheten, bis zum Evangelium des Johannes. So verkündete Jesaja

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein großes Licht.
Die im Land der Finsternis wohnen, Licht leuchtet über ihnen.

Jesaja 9,1

Und Jesus sagte zu seinen Jüngern

Ich bin das Licht der Welt;
wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln,
sondern wird das Licht des Lebens haben.

Johannes 8,12

Die Verheißung, dass die im Dunkel sind, das Licht der Welt haben werden, war schließlich das große soziale Thema des vergangenen Jahrhunderts.

Kurz nach dem sensationellen Erfolg der „Dreigroschenoper” fragte das Ullstein-Magazin „Die Dame” im Oktober 1928 in seiner Beilage „Die losen Blätter”: „Welches Buch hat Ihnen in Ihrem Leben den größten Eindruck gemacht?” Brecht antwortete lakonisch: „Sie werden lachen: die Bibel.”