Nach der „Dreigroschenoper” schrieb Brecht in den Jahren 1929-1932 die „Heilige Johanna der Schlachthöfe”. Hier liegt das biblische Motiv offen zutage. Brecht übersetzt die sozialen Widersprüche der Zeit in den Widerspruch zwischen den christlichen Idealen der Heiligen Johanna, die das soziale Elend im irdischen Jammertal mildern will, und den Vorgängen an der Chicagoer Viehbörse während der Weltwirtschaftskrise.
Allein die Titel der Bilder des Stücks sprechen für sich: Im 7. Bild zeigt Brecht die „Austreibung der Händler aus dem Tempel”, und im 10. Bild kommt es zu „Tod und Kanonisierung der Heiligen Johanna der Schlachthöfe”. Johannas Ideal vom „guten Menschen”, der sich noch „interessiert für Gottes Wort … und nicht nur was der Aktienkurs verspricht.
Das neutestamentliche Bild vom „guten Menschen” verwendet Brecht häufig in seinen Dramen. Es zeigt sich in der Figur der stummen Kattrin in der „Mutter Courage” von 1939, in der Prostituierten Shen Te in „Der gute Mensch von Sezuan” von 1941 sowie im Dienstmädchen Grusche im „Kaukasischen Kreidekreis” von 1944. Selbst im chinesischen Sezuan fragt die schwangere Shen Te angesichts eines in Abfällen nach Nahrung suchenden Kindes mit biblischem Pathos:
O Sohn! … In welche Welt wirst du kommen? …
Habt ihr keine Barmherzigkeit mit der Frucht eures Leibes?
Noch ein anderes biblisches Motiv läßt sich an der Figur der „Heiligen Johanna” nachweisen: das der Heldin Judith, die durch eine unerhörte Tat ihr jüdisches Volk von Schmach und Unterdrückung befreit. In seinem Stück „Die Gesichte der Simone Machard” greift Brecht das Thema 1941 ein weiteres Mal auf. Das französische Dienstmädchen Simone hat Gesichter. Ein Engel mit den Zügen ihres im Kampf gegen die Nazitruppen gefallenen Bruders verkündet ihr:
Johanna, Tochter Frankreichs, es muß etwas geschehen
Sonst muß das große Frankreich in zwei Wochen untergehn.
Drum hat Gott, der Herr, nach einer Hilfe herumgefragt
Und ist auf dich gekommen, seine kleine Magd.
So wird Simone zur Jeanne d’Arc der Résistance. I