André Frossard war 20 Jahre alt, als ihm in einer Kapelle in der rue d’Ulm in Paris »Gott begegnete«. Er wurde einer der bekanntesten Journalisten Frankreichs, Kolumnist des konservativen »Figaro«. In einem 176 Seiten umfassenden Buch beschrieb beschrieb er 1969, was ihm 40 Jahre zuvor zustieß — unter dem Titel: »Gott existiert,. ich bin ihm begegnet«. Es wurde ein Bestseller*.
Geboren in einem Dorf nahe Belfort wuchs Frossard laut eigenem Bericht in einer Familie auf, »in der die Existenz Gottes nicht einmal eine Frage wert war«. Zwar war eine der Großmütter Jüdin und die andere eine Protestantin, doch bekannte sich Vater Ludovic-Oscar zum Atheismus.
Von Jugend an Sozialist, war Vater Frossard unter dem Eindruck der Leninschen Revolution der Kommunistischen Partei Frankreichs beigetreten. Er wurde deren erster Generalsekretär. Später kehrte er zum Sozialismus zurück und wurde Minister.
Die Religion der Familie Frossard war in jener Zeit der Marxismus.
Frossards Kindheitserinnerungen beschreibt er als in der Zeitung »Le Monde« als »feinfühlig«, »zart« und »humorvoll«. Es waren keine seelischer Verletzungen in der Jugend oder eine krankhafte Veranlagung für mystische Erlebnisse die bei Froassard ein Umdenken bewirkten.
Die Gottes-Begegnung ereignete sich an einem Sommerabend. Andre war mit einem Freund in der rue d’Ulm und anschließend mit einer jungen Deutschen verabredet, die ihm Hoffnungen »auf eine mäßige Verteidigung ihrer Grenzen« gemacht hatte. Der Freund verspätete sich, und Andre betrat eine an der Straße gelegene Kapelle.
Was sich in dem kleinen Gotteshaus ereignete, schildert Frossard heute so: Zunächst habe er die Worte »spirituelles Leben« vernommen — etwas, was ihn wie »eine Lawine von hinten« getroffen habe. »Ich sage nicht«, schreibt Frossard, »daß der Himmel sich öffnet, er öffnete sich nicht; er schwang sich empor, er erhob sich plötzlich, ein schweigendes Wetterleuchten …« Der Himmel ist laut Frossard ein Kristall von »unendlicher Durchsichtigkeit« und »einer fast unerträglichen Leuchtkraft«. Eine Steigerung hätte ihn, Frossard, vernichtet.
Zusammen mit dieser Himmelsvision wurde dem Sohn des kommunistischen Generalsekretärs auch die Einsicht zuteil: »Es gibt eine Ordnung im Universum, und an ihrer Spitze durch den Schleier eines strahlenden Nebels hindurch die Offenbarkeit Gottes, eine Offenbarkeit, die gegenwärtig ist.«
Die erste Gottes-Begegnung dauerte etwa fünf Minuten. Als Frossard danach auf die Straße trat, teilte er seinem dort wartenden Freund mit, daß er von nun an Katholik sei.
Einen Monat lang hatte Andre jeden Tag das gleiche Erlebnis; dreißigmal erlebte er »dieses Licht, das den Tag erblassen ließ« diese Milde, die ich nie vergessen werde und die mein ganzes theologisches Wissen ist«. An der Aufrichtigkeit der Aussagen Frossards sei nicht zu zweifeln, schrieb »Le Monde«. Frossard selber bekennt in seinem Buch: »Ich habe mich niemals an die Existenz Gottes gewöhnt.«
23.03.1969 aus DER SPIEGEL 13/1969
https://www.spiegel.de/kultur/gott-existiert-a-fa4f7c14-0002-0001-0000-000045702471