Markus Spieker schreibt in seinem Buch, Jesus, eine Weltgeschichte folgendes:
Als junger Mann hatte Konstantin den Sonnengott Sol verehrt. Seine Hinwendung zum Christentum ist kirchenhistorisch so bedeutsam wie die Wandlung von Saulus zum Paulus. Wie Paulus, der römische Diaspora-Jude, war auch Konstantin ein geborener Außenseiter. Er war im heutigen Serbien zur Welt gekommen, als Sohn eines hochrangigen Generals, der es bis zum Neben-Kaiser brachte. Seine Mutter Helena kam aus einfachen Verhältnissen und arbeitete als Gastwirtin in einem wenig angesehenen Gewerbe, als Konstantins Vater sie zu seiner Geliebten machte. Ob er sie je formell heiratete, ist umstritten.
Vielleicht begegnete Konstantin den Christen auch deshalb mit besonderer Sympathie, weil er selbst nicht zur römischen High Society gehörte. Aber natürlich brauchte er die Unterstützung des Establishments, musste sich mit Senatoren und Priestern gut vernetzen, um beim Kampf um den Thron ihren Rückhalt zu haben.
Dass er statt auf die traditionellen römischen Religionen lieber auf den Glauben der verfolgten Christen setzte, kann nicht mit Machtkalkül erklärt werden. Konstantin entschied sich für den Gott der Christen aus der tiefen Überzeugung, dass dieser Gott der stärkste, ja, der einzige war. Seine Vision und sein Traum spielten dabei eine wichtige Rolle. Rein aus einer Laune heraus hätte er die Schilde seiner Soldaten sicher nicht mit Kreuzzeichen dekoriert.
Es gab aber auch einen rein menschlichen Faktor, der die «Konstantinische Wende» begünstigte. Er hieß Lucius Caecilius Firmianus Lactantius, kam aus Nordafrika, war dreißig Jahre älter als Konstantin und galt als einer der klügsten Köpfe seiner Zeit. Und er war Christ. Konstantin engagierte Lactantius als Lehrer für seinen kleinen Sohn.
Man kann davon ausgehen, dass Konstantin und Lactantius einander schon länger kannten. Womöglich war Konstantin selbst bei Lactantius in die rhetorische und philosophische Lehre gegangen.
Lactantius war ebenfalls nicht als Christ aufgewachsen, sondern hatte sich in jungen Jahren zu Jesus bekehrt. Als die große Verfolgung unter Diokletian begann, blieb Lactantius seinem Glauben treu, verzichtete auf eine Karriere als Professor und lebte verarmt im Untergrund. In dieser Zeit verfasste er das Buch «Göttliche Einrichtungen», eine monumentale Verteidigungsschrift des christlichen Glaubens.
Ein anderes Buch, an dem Lactantius arbeitete, hatte den wenig philosophischen Titel «Von den Todesarten der Verfolger». Lactantius versuchte darin zu beweisen, dass sämtliche römischen Kaiser, die Christen drangsaliert hatten, ein böses Ende genommen hatten. Genüsslich breitete Lactantius aus, unter welch grausamen Schmerzen einige von ihnen gestorben waren.
Es liegt nahe, dass Lactantius dem wissbegierigen Konstantin Auszüge seiner Bücher zu lesen gab oder ihm den Inhalt zumindest mündlich erläuterte. Der künftige Kaiser lernte also erstens, dass der christliche Glaube vernünftiger war als alle anderen Religionen und Philosophien, und zweitens, dass es lebensgefährlich war, sich den christlichen Gott zum Feind zu machen. Als sich diese Erkenntnis durch die Vision und den Traum zur Gewissheit verdichtete, beschloss Konstantin, auf den Christengott zu setzen.
Man kann bezweifeln, dass Konstantin den wahren Sinn des Kreuzes und überhaupt des Evangeliums vollständig begriff. Schließlich hatte Jesus sich selbst geopfert und keinen militärischen Triumphzug angeführt. Mit guten Gründen kann man Konstantins Glaubensmotive hinterfragen. Unstrittig ist dagegen, dass sich mit seiner Kehrtwende die Lage der Christen zum Besseren wendete. Da wundert es nicht, dass Konstantin von vielen Christen als «neuer David» gepriesen wurde.
Konstantins Art zu herrschen unterschied sich nicht nennenswerter von der seiner Vorgänger. Wer ihm in den Weg trat, wurde weggeräumt. Konstantin brachte seine Ehefrau und seinen Sohn um, weil er sie für illoyal hielt. Aber Konstantin sorgte auch dafür, dass Christen ihren Glauben in Freiheit praktizieren konnten.