Vereint Abraham Juden, Christen und Muslime?

Abraham in jüdischer Sicht

Für das Judentum ist Abraham vor allem der Stammvater Israels und der Juden. „Wir haben Abraham zum Vater“ (Matth. 3,9; vgl. Joh. 8,33) – so rechtfertigen sich die zeitgenössischen Juden gegenüber Johannes dem Täufer und gegenüber Jesus. Mit dem Hinweis auf ihr Kindschafts­verhältnis zu Abraham lehnten sie sowohl den Bußruf des Täufers als den Jesu ab. Die leibliche Abstammung von Abraham machte sie selbstsicher gegenüber dem Anspruch Gottes auf ihr Leben. Jesus sagte ihnen: „Wenn ihr Abrahams Kinder wärt, so tätet ihr Abrahams Werke.“ (Joh. 8,39). Sowohl Johannes als auch Jesus sagten deutlich, dass eine leibliche Abstammung von Abraham nicht ausreicht.

Abraham bei Paulus

Paulus führte in seinen Briefen an die Römer (Kap. 4 und 9) und an die Galater (Kap. 3 und 4) aus, dass der wesentliche Zug an Abraham sein Vertrauen in Gottes Zusagen war: Abraham „wusste aufs allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun. Darum ist es ihm auch ‚zur Gerechtigkeit gerechnet worden.’“ (Röm. 4,21f.). Durch dieses Vertrauen lebte Abraham in der rechten Gottesbeziehung. Paulus hat sowohl den Abraham des 1. Mose-Buches richtig verstanden als auch im Sinne des Täufers und Jesu gedacht.

Wie für Johannes und Jesus hatte dieses Verständnis Abrahams für Paulus eine besondere Bedeutung in seiner Auseinandersetzung mit den gesetzestreuen Juden seiner Zeit. Für ihn war derjenige, der Gott bedingungslos vertraut, Kind Abrahams (Gal. 3,7). Die leibliche Abstammung war für ihn nicht entscheidend. Paulus machte das daran deutlich, dass Abraham ja viele leibliche Kinder hatte (außer Isaak auch Ismael und die Söhne der Ketura), aber nur Isaak, der im Vertrauen auf Gott gezeugte Sohn, Träger der Bundesverheißung war.

Paulus folgerte daraus, dass auch Menschen aus den Völkern der Welt (Gal. 3,8), Kinder Abrahams werden können, wenn sie Gott vertrauen. „So sollte er ein Vater werden aller, die glauben…“ (Röm. 4,11). Paulus begründete auf diese Weise, dass es nicht nötig sei, das mosaische Gesetz zu halten, um in die richtige Gottesbeziehung zu kommen. Das Gesetz sei wohl gut, aber es könne keinen Menschen in das rechte Gottesverhältnis bringen. Nur im Glauben an die durch Jesus Christus gewährte Sündenvergebung könne ein Mensch zum Frieden mit Gott gelangen.

Der Abraham des Koran

Mohammed argumentierte anfangs ähnlich wie Paulus, doch ist der Unterschied nicht zu übersehen. Denn anders als Paulus kannte Mohammed den im ersten Mose-Buch geschilderten Abraham nicht. Vielmehr projizierte er seine eigene Vorstellung von einem wahrhaften Gottgläubigen in Abraham hinein. Der Koran verkündigt also einen islamisierten Abraham, der gegen die Vielgötterei kämpfte wie Mohammed selbst.

Mit dem Rückgriff auf Abra­ham entzog sich Mohammed sowohl dem Anspruch des mosaischen Gesetzes als auch dem durch Jesus Christus bewirkten Heil. Mit Hilfe der Abraham-Projektion machte Mohammed die biblische Heils­geschichte von Abraham bis Jesus bedeutungslos. In der Bibel läuft die Linie des göttlichen Heils bekanntlich von Abraham über Isaak, Jakob und Mose zu Jesus Christus hin. Im Islam dagegen ist statt Isaak Ismael zum entscheidenden Sohn Abrahams geworden. Statt Isaak machte Mohammed Ismael zum wahren Erben des Glaubens Abrahams. Im Islam geht man davon aus, dass Ismael zum Stammvater der Araber und damit der Muslime geworden ist. Diese eigenmächtige Konstruktion ist jedoch historisch nicht nachweisbar, und auch in der Bibel gibt es dafür keine Anhaltspunkte.

Konsequenzen

Die Islamisierung Abrahams kann keine gemeinsame Plattform für den Gottesglauben von Juden, Christen und Muslimen sein. Sie ist vielmehr eine Abkehr von dem in der Bibel bezeugten Gott Israels und Vaters Jesu Christi. Das koranische und das biblische Zeugnis von Gott lassen sich nicht auf einen Nenner bringen, sind vielmehr trotz mancher Ähnlichkeiten im Kern unterschiedlich und gegensätzlich. Der Koran denkt zwar bei seinen Aussagen über Allah an den „einen Gott“, außer dem es keinen gibt, verkündigt aber einen „anderen Gott“ als die Bibel. Das macht jedes Gespräch zwischen Christen und Muslimen so schwierig. Mit den gleichen Begriffen meinen Christen, die der Bibel treu bleiben, etwas anderes als Muslime. Das gilt auch für das Wort „Allah“, das von arabischen Christen für „Gott“ benutzt wird. Arabische Christen und Muslime füllen das Wort „Allah“ mit unterschiedlichem Inhalt. Für arabische Christen ist klar, dass „Allah“ der in der Heiligen Schrift bezeugte HERR (JAHWE) Israels und Vater von Jesus Christus ist. Dieses Bekenntnis ist eine Absage an den „Allah“ des Islam.

Für uns ist wichtig, dass wir die biblische Botschaft von Abraham im Gedächtnis behalten. Weil Abraham erfuhr, dass Gott seine Versprechen wahr macht, werden wir ermutigt, uns in allen Lebenssituationen an den treuen Bundesgott zu klammern. Auch wenn Gott uns manchmal lange warten lässt wie Abraham mit der Geburt Isaaks; auch wenn scheinbar alles gegen die Erfüllung spricht; auch wenn wir in Kurzschluss­panik geraten wie Sara und Gott nicht vertrauen; auch wenn Gott uns auf die Probe stellt wie Abraham bei der Opferung Isaaks – Gott bleibt Herr der Lage und kennt unsere Anfechtungen.

Der biblische Abraham war kein Werber für den Monotheismus

Der biblische Abraham war kein Werber für den Monotheismus, sondern erlebte, dass Gott eine lebendige Wirk­lichkeit ist. Das ist doch auch für uns das Entscheidende! Was nützt uns die theoretische Erkenntnis, dass es nur den einen Gott gibt, wenn wir ihn nicht lieben und ihm nicht gehorchen? Der eine Gott will unser Herr, aber auch unser liebender himmlischer Vater sein, der unser Leben zum Ziel bringt. Das ist die biblische Botschaft der Geschichte Abrahams.