Kulturhauptstadt-Marathon Christoph Bauer bewältigt erstmalig die legendäre Distanz von 42,195 Kilometer
Von Marcus Hengst
20.05.2025, 18:30 Uhr

Chemnitz.
Am Sonntag ertönte auf dem Marktplatz pünktlich der Startschuss zum „Europäischer Kulturhauptstadt-Marathon“, der von der Sparkasse Chemnitz organisiert wurde. 8.350 Läufer und Läuferinnen begaben sich anschließend auf fünf verschiedene Distanzen – angefangen mit dem klassischen Marathon mit einer Länge von 42,195 Kilometern bis hin zum Bambinilauf über 400 Meter. Mehr als 200 Musiker sorgten entlang der Strecke für die „längste Bühne der Welt“, dazu waren mehrere tausend Zuschauer am Streckenrand zugegen und feuerten lautstark die Teilnehmer an.
Darunter waren 2.000 Chemnitzer – und einer davon war Christoph Bauer. Als Christoph nach weniger als vier Stunden ins Ziel lief, purzelten ihm allerhand Steinchen vom Herzen. „Ich wollte unbedingt finishen, das habe ich geschafft – und dafür bin ich Gott so, so dankbar“, sagte er nach seinem Premieren-Marathon.
Am Anfang waren fünf Buchstaben
Wir drehen die Zeit zurück und landen im Februar 2022. Christoph wird von seinen Eltern durch den Mittweidaer Park geschoben. Der damals 33-Jährige war schwer erkrankt, kam nicht mehr auf die Beine. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, ehe die mysteriösen fünf Buchstaben ME/CFS letztlich nach einem Bluttest in einem Speziallabor diagnostiziert wurden. Das „Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom“ ist eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung. Gegenüber diesem „Chronischen Erschöpfungssyndrom“ kapituliert der Körper kraftlos und ist nicht mehr im Stande, selbst alltägliche, einfachste Belastungen zu bewältigen. Wie das Zähneputzen, das Duschen, längere Gespräche führen, Bücher lesen, Fünf-Minuten-Spaziergänge. Nichts ging mehr. Ein Teufelskreis. Christoph erinnert sich: „Und dabei war die fehlende Mobilität nur ein kleiner Faktor in einem Leben in abgedunkelten Räumen, viel Einsamkeit und nicht einmal der Fähigkeit, Musik zu hören oder fernzusehen.“
Neugeburt des alten Marathon-Gedankens
Wer an ME/CFS erkrankt, wird in aller Regel zu einem Pflegefall. Christoph lag sieben Monate ununterbrochen in abgedunkelten Räumen, selbst das anfängliche Sitzen im Rollstuhl war nicht mehr möglich geworden. Immer mit großer Unterstützung seiner Familie und Freunden blieb er während dieser Zeit optimistisch und glaubensstark – und sagte schon früh zu einer Bekannten: „Wenn die ganze Scheiße vorbei ist und ich geheilt bin, dann laufe ich einen Marathon!“ Dieser Gedanke war jedoch nicht neu, denn so liebäugelte Christoph bereits vor etwa zehn Jahren mit dem Gedanken, den jährlichen Chemnitz-Marathon zu laufen. Aber: Aufgeschoben ist bekanntlich niemals aufgehoben. Seit der Wunder-Heilung am 25. August 2022, bei der nach einem Gebet von einer Sekunde auf die andere alle Symptome verschwanden, ist das Leben von Christoph Bauer völlig wiederhergestellt – entgegen jeder medizinischen Logik. In den letzten fünf Monaten vor der Heilung lief Christoph kumuliert zirka 50.000 Schritte, identisch viele, wie am Marathon-Tag. Zum heutigen Hobby sagt er: „Laufen ist ein Ausgleich. Eine Chance, den Kopf freizubekommen und seinem Körper etwas Gutes zu tun.“
Training in den Anden und der Fußball-Welt
Für Sport nimmt sich Christoph Bauer gern Zeit. Fußball, Darts, Basketball, Radfahren, als Jugendlicher hat er sogar geboxt. „Das Laufen ist dabei also nur ein Sektor“, erzählt er – und dieser half ihm 2013, um pünktlich den Fußballspielen in den Londoner Stadien der Queens Park Rangers und dem Fulham FC beiwohnen zu können. Zwischen dem Abpfiff beim ersten und dem Anpfiff beim zweiten Match lagen 20 Minuten und rund fünf Kilometer. „Ich wusste, dass ich es mit den Öffis niemals pünktlich schaffe und die Straßen aufgrund der vollen Fußballstadien überfüllt sein werden. Ergo bin ich gerannt“, erzählt Christoph und fügt schmunzelnd hinzu: „An die lange Schlange am Einlass hatte ich nicht gedacht.“ Dementsprechend war der Groundhopper wenige Zeigerumdrehungen später im legendären „Craven Cottage“.
Noch schweißtreibender war der Besuch des weltberühmten Inka-Dorfes Machu Picchu. Die Touren zum Weltwunder beginnen im Touristenort Aguas Calientes auf 2.040 Höhenmetern. Nachts gegen 3.30 Uhr wird die Strecke hoch zum Weltwunder für Wanderer freigegeben, 30 Minuten später rollen die ersten Touristenbusse los. Christoph und ein Freund wollten das Zeitpuffer von einer halben Stunde verteidigen, um als erstes einen Blick auf Machu Picchu zu werfen. Die beiden nahmen die Beine in die Hand, bewältigten den Anstieg auf 2.430 Höhenmeter – und gewannen. „Anschließend sind wir noch auf einen der zwei Berge um die Wette gelaufen, die sich im direkten Umkreis befinden und haben dabei weitere 600 Höhenmeter absolviert. Auf 3.082 Höhenmetern bin ich dann mit einem Müsliriegel in der Hand kurz weggenickt“, blickt er auf diese tolle Erlebnis zurück.
Vorbereitung auf den „Lebens-Lauf“
Die Anmeldung zum „Europäischen Kulturhauptstadt-Marathon“ tätigte Christoph frühzeitig, der Trainingsbeginn wiederum fing erst reichlich spät, aber noch rechtzeitig an: „Ich bin echt ein wenig naiv gewesen, habe erst Ende Februar einen echten Marathon-Trainingsplan zusammengestellt, den dann aber vollkommen durchgezogen!“ Zur Vorbereitung gehörte auch das Ablaufen der Halbmarathonstrecke 15 Tage vor dem Wettkampf in damals 1:51 Stunden. Bei einem Ausflug in der Vorwoche nach Dänemark, in den diverse Laufeinheiten eingebaut waren, endete die Vorbereitung auf seinen ersten Marathon. „Allein die Teilnahme ist und bleibt ein Wunder“, freute sich Christoph und ging optimistisch in den „Lebens-Lauf“: „Erstes Ziel: finishen. Zweites Ziel: „Bei den offensichtlich passend kühlen Temperaturen würde ich gern die Vier-Stunden-Marke knacken.“
Ein Marathon mit Musik und einem Schloßberg
Das Wetter spielte am Marathontag mehr als mit, die Temperaturen waren für die 8.350 Läufer und Läuferinnen aus neun Nationen – unter anderem aus Kanada, Großbritannien und Spanien – beim von der „Sparkasse Chemnitz“ organisierten „Europäischen Kulturhauptstadt-Marathon“ nahezu ideal. Relativ kühl, aber kein Regen. Absolut angenehm also. „In den ersten acht Kilometern machte mir der Magen Sorgen, aber das war scheinbar der Aufregung geschuldet, denn danach war ich mehr denn je euphorisiert und lief – angetrieben von einem Pacemaker – konstant durch. Auch den zweiten Schloßberg-Aufstieg bin ich locker hochgekommen. Bei den letzten drei der insgesamt 42.195 Kilometern kam ein Einbruch in Form von Seitenstechen und Kraftverlust, da wurde es spät doch noch komplette Quälerei“, fasst Christoph seinen ersten Marathon zusammen.
Besucherinnen-Frage: „Warum laufen die heißen Typen ständig von mir weg?“
Apropos: Die schwerste Stelle der Strecke war der Weg – vom Schloßteich kommend – hoch zum Schloßberg. Dazu führte die Strecke mitten durch die Stadt und damit an allerhand Highlights vorbei – unter anderem am Schlossteich, dem Marx-Monument sowie dem bunten Schornstein und historischen Eisenbahnviadukt. Außerdem gab es entlang der Chemnitzer Sehenswürdigkeiten musikalische Ablenkung für die Läufer und Läuferinnen. Verantwortlich dafür waren mehr als 200 Musiker, Sänger und DJs, aber auch Chöre, die von Hip-Hop über Elektro bis zu der neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven für allerhand Abwechslung auf der „längsten Bühne der Welt“ sorgten. Unter dem Titel „Laufend Kultur“ wurde damit eindrucksvoll eine Brücke zur Musik gebaut. „Natürlich bekommt man die Musik mit, aber ganz ehrlich: Das große Highlight war die Unterstützung am Rande der Strecke, kombiniert mit manch witzigem Plakat. Aussagen wie „Lächle, Du hast dafür bezahlt, hier mitzulaufen!“ oder die Frau mit dem „Warum-laufen-die-heißen-Typen-ständig-von-mir-weg“-Schild ließen einen schon schmunzeln.“
„Einen Marathon wollte ich mindestens einmal im Leben meistern.“
Nach 3:58:27 Stunden lief Christoph durch das Ziel, geschafft und glücklich. In der Hand hielt er einen Schal mit der Aufschrift „Jesus is King!“, die seinen grenzenlosen Glauben demonstrierte. Als erstes fiel er in die Arme seiner Frau Annette sowie den Söhnen Silas und Josua. Woher nahm Christoph Bauer den Mut? „Kurz gesagt: Der Mut kommt aus der Gewissheit und Glaubensüberzeugung, für alle Zeiten frei von dieser furchtbaren Krankheit zu sein. Und der Sehnsucht danach, der Welt zu zeigen, dass Jesus heute noch genauso wirkt, wie es in der Bibel steht. Ich weiß, dass ich von Gott geheilt wurde und nun wieder genauso Sport treiben kann, als hätte es diese Krankheit niemals gegeben.“
Seinen Worten – „Einen Marathon wollte ich mindestens einmal im Leben meistern.“ – hatte Christoph nun Taten folgen lassen. Sein nächstes Versprechen: Er schreibt gerade an einem Buch über diese verrückten letzten fünf Jahre. „Ich liebe es, vor Menschen die Geschichte zu erzählen, die Gott mit mir geschrieben hat und möchte diese gern auch in Buchform mit anderen teilen.“