Augustus macht kurzen Prozess. Er teilt das jüdische Reich auf. Archelaos bekommt nur den südlichen Teil, also Judäa, sein jüngerer Bruder Antipas erhält Galiläa; und einem weiteren Halbbruder, Philippus, werden Gebiete im hohen Norden von Israel zugesprochen. Alle drei erhalten den Titel «Ethnarch», was so viel wie «Großfürst» bedeutet.
Augustus tröstet Archelaos damit, dass dieser vielleicht doch irgendwann ein richtiger König wird. Doch vorher soll er sich bewähren und in Judäa für Frieden sorgen.
Das ist leichter versprochen als umgesetzt. Im ganzen Land brechen nun Aufstände los, weil alle Feinde des Herodes-Clans spüren, dass der neue starke Mann in Wirklichkeit schwach ist. Josephus berichtet, dass sich Israel in diesen Jahren in eine «wahre Räuberhöhle» verwandelt, in der jeder dahergekommene Aufwiegler die Königswürde für sich selbst reklamiert. «Wo sich nur immer eine Schar von Aufrührern zusammentat», schreibt Josephus, «wählten sie gleich Könige, die dem Staat sehr schadeten.»
Viele Juden sind um die Zeitenwende der festen Überzeugung, dass die Weltgeschichte auf die Zielgerade geht. In den Römern, die ihren Machtanspruch immer brutaler geltend machen, sehen sie das im Buch Daniel prophezeite «Vierte Reich». Jetzt können der Messias und die Errichtung des «Reichs Gottes» nicht mehr weit sein.
Die Welle der Gewalt schwappt auch über die Gegend rund um Nazareth. Urheber ist ein Mann namens Judas. Er heißt genauso wie der Makkabäer-Held und wie der spätere Jesus-Verräter. Der Vater von diesem Judas, ein gewisser Hiskia, hatte sich als Terrorist bereits mit Herodes dem Großen angelegt und war dafür hingerichtet worden. Das Terror-Gen hat er an seinen Sohn vererbt. Judas stürmt mit seinen Gefolgsleuten die galiläische Hauptstadt Sepphoris, bemächtigt sich der dort aufbewahrten Waffen und bringt das Gebiet ringsherum unter seine Kontrolle.
Nur mit römischer Hilfe kann der Aufstand niedergeschlagen werden. Varus, der Statthalter von Syrien, zieht mit seinen Truppen nach Galiläa. Sie erobern Sepphoris zurück, zerstören die Stadt, töten viele, nehmen noch mehr gefangen und verkaufen sie in die Sklaverei. Dabei unterscheiden sie kaum, wer zu den Umstürzlern gehört und wer unschuldig ist.
Auf der Jagd nach den Aufrührern dringen die Römer, davon ist auszugehen, auch ins benachbarte Nazareth ein. Höchstwahrscheinlich töten sie dort viele Menschen und versklaven die Übriggebliebenen.
Die umständliche Flucht von Maria und Josef über Bethlehem nach Ägypten erweist sich für sie als Glücksfall.
Auch in Bethlehem hätte die Jesus-Familie selbst nach dem Herodes-Tod keine guten Überlebenschancen gehabt. Nachdem Varus auf blutige Weise den Frieden in Galiläa wiederhergestellt hat, zieht er nach Judäa. Verstärkung bekommt er vom Nachbarvolk der Nabatäer. Diese Araber haben mit den Juden noch eine Rechnung offen. Sie sinnen auf Rache dafür, dass Herodes sie vor einigen Jahren angegriffen hatte. Zusammen mit den Römern fallen die Araber über die Dörfer rings um Jerusalem her, töten und plündern. Unter anderem wird das Dorf Emmaus dem Erdboden gleichgemacht. Dann erobern sie gemeinsam Jerusalem zurück. Varus bestraft die Aufrührer grausam. Zweitausend von ihnen verurteilt er zur brutalsten Strafe, die es überhaupt gab: der Kreuzigung.
Wie gut, ja lebensrettend für Jesus, dass er mit seinen Eltern inzwischen in Sicherheit ist.
Von nun an gilt Varus bei Augustus als Spezialist für schwierige Missionen und knallhartes Durchgreifen. Bald darauf kommandiert Augustus seinen Erfolgs-Offizier an die Nordgrenze des Reichs ab, um nach den Juden auch die Germanen ruhigzustellen.
Doch im Jahr 9 nach Christus kommt die römische Vorwärtsbewegung in den germanischen Wäldern zum Stillstand. Der Feldherr Varus, der kurz vorher in Israel für Friedhofsruhe gesorgt hatte, erleidet die schmachvollste Schlappe der römischen Geschichte. Der Germanen-Fürst Arminius (heute auch als «Hermann» bekannt), besiegt ihn, köpft ihn und schickt den Kopf an Augustus. Die Germanen erbeuten sogar den römischen Legionsadler.
Der 71-jährige Augustus rauft sich die wenigen verbliebenen Haare und jammert: «Varus, gib mir meine Legionen wieder!» Immerhin gelingt es den Römern, die Frau des Arminius, Thusnelda (aus deren Namen sich ganz nebenbei der umgangssprachliche Begriff «Tussi» ableitet), gefangen zu nehmen und in Rom als Siegesbeute vorzuführen.
Die Mega-Pleite vom Teutoburger Wald führt dazu, dass die Römer von weiteren militärischen Expeditionen absehen. Ab jetzt konzentrieren sie sich darauf, die bereits eroberten Gebiete noch effizienter zu verwalten und auszubeuten. Das Trauma vom Teutoburger Wald macht die Römer auch dünnhäutiger. Eine weitere Demütigung können und wollen sie sich nicht leisten. Das werden eines Tages auch die Juden zu spüren bekommen.
Markus Spieker, Jesus S. 199