Immer wieder wird behauptet, daß der Hauptbegründer der modernen Evolutionstheorie Charles Darwin am Ende seines Lebens zum Glauben an die Bibel zurückgekehrt sei. Eine gewisse Lady Hope aus Northfield in England habe darüber berichtet. Zur Umkehr Darwins ist sogar ein Traktat der “Gospel Trct Society” / Independence, Missouri in Umlauf. Auf dieses Traktat hat sich auch der große Richard Wumrbrand berufen. Zu Unrecht!
INach Angaben dieses Traktates hat Lady Hope folgendes über Darwins Haltung zur Bibel kurz vor seinem Tod niedergeschrieben:
“Es war an einem herrlichen Herbstnachmittag. Ich wurde gebeten, den bekannten Professor Charles Darwin zu besuchen. Er war einige Zeit bettlägerig, bevor er starb. Er saß aufrecht im Bett und war in ein weites Gewand eingehüllt. Durch Kissen gestützt konnte er hinblicken auf ein weites Panorama mit Wäldern und Kornfeldern, die im Licht eines traumhaft schönen Sonnenuntergangs erglühten. Sein Gesicht schien zu leuchten, als ich den Raum betrat. Er wies mit der einen Hand nach dem Fenster, um mir das Panorama zu zeigen, während er in der anderen eine geöffenete Bibel hatte, die er immerfort studierte.
Welches Buch lesen Sie gerade? fragte ich, während ich mich an seinem Bett niedersetzte. – Hebräer, antwortete er, immer noch. Ich nenne es das königliche Buch. Dann legte er seinen Finger auf einen bestimmten Abschnitt und erläuterte ihn. Ich machte einige Bemerkungen über die nachhaltig wirkende Evolutionslehre, von der viele Menschen begeistert sind. Er wirkte außerordentlich bekümmert. Seine Finger zuckten nervös, und Leichenblässe überzog sein Gesicht, während er sagte: Ich war ein junger Mensch mit unausgegorenen Vorstellungen. Ich schleuderte meine Zweifel und Ideen hinaus, und zu meiner Verwunderung breiteten sie sich wie ein Buschfeuer aus. Die Leute haben eine Religion daraus gemacht. Er machte eine kurze Pause und sprach dann ehrfurchtsvoll einige Sätze über die Heiligkeit Gottes und die Großartigkeit dieses Buches. Dabei schaute er auf die Bibel, die er die ganze Zeit fast zärtlich in der Hand gehalten hatte.
Zusammenfassung
Nach allem, was historisch über Charles Darwin bekannt ist, ist diese Geschichte von Darwins Umkehr ausschließlich fromme Legende. Darwin hat eine große Zahl von persönlicher Korrespondenz bis unmittelbar vor seinem Tod hinterlassen. Darüber hinaus gibt es viele Zeugnisse über ihn und seine Einstellung zur Bibel von seinen Familienmitgliedern und Freunden. Aus allen diesen Zeugnissen geht übereinstimmend hervor, daß Darwin als Ungläubiger (und zwar als Agnostiker) gestorben ist und ein gebrochenes Verhältnis zur Bibel hatte. In der Biographie “Darwin” von Desmond & Moore (1992, Liszt München) wurde Schrifttum von Charles Darwin ausgewertet, das bis vor kurzem noch unveröffentlicht war. Auch darin geht nichts über einen Sinneswandel oder gar eine Bekehrung Darwins kurz vor seinem Tode hervor – im Gegenteil: Alle Äußerungen Darwins in seinen späteren Jahren sprechen deutlich dagegen. Die Umstände seines Sterbens sind in der Biographie von Desmond & Moore ausführlich beschrieben. Nach diesen Schilderungen war es ein schrecklicher Tod. Der geistliche Weg Charles Darwins wird in dieser Biographie übrigens eindrucksvoll geschildert.
Interessanterweise wurde ein ähnliches Gerücht auch über Darwins Großvater Erasmus Darwin, einem Freidenker, verbreitet: er sei auf dem Sterbebett Christ geworden. (Erasmus vertrat auch bereits explizit eine Evolutionsvorstellung; Charles war von ihm beeinflußt.) Desmond & Moore schreiben dazu (S. 18):
“Es wurde sogar eine Geschichte in Umlauf gesetzt, wonach Erasmus Darwin auf dem Sterbelager nach Jesus gerufen habe.”
Ungereimtheiten im Traktat.
Daneben offenbart das Traktat an einigen Stellen aber selbst Ungereimtheiten. Es wird von einem Besuch im Herbst berichtet. Darwin starb im Frühjahr, am 19. April 1882. Seine Bekehrung wäre also schon viele Monate vor seinem Tod erfolgt und daher bei seinem Bekanntheitsgrad sicher nicht unbekannt und unbemerkt geblieben. Tatsächlich geht aus einem Schreiben Darwins noch drei Wochen vor seinem Tod hervor, daß er seine agnostische Gesinnung nicht aufgegeben hat. Im Alter von 70 Jahren, gut zwei Jahre vor seinem Tod, bezeichnete er die Lehre, wonach auf Ungläubige eine ewige Strafe warte, als eine “verdammenswerte Lehre”, zumal auch sein Vater, Bruder und alle seine besten Freunde betroffen wären. Eines seiner letzten überlieferten Worte von ihm sind: “Der Unglaube beschlich mich ganz allmählich, war aber zuletzt vollständig.”
Im Traktat wird weiter behauptet, dass Darwin als junger Mensch mit unausgegorenen Vorstellungen seine Zweifel und Ideen hinausschleuderte, Erst im Alter von 49 Jahren wurde diese aber in einem kurzen Beitrag (1858) veröffentlicht. Sein Hauptwerk Über die Entstehung der Arten erschien dann ein Jahr später.
Das Zeugnis der Familienmitglieder
Charles’ Tochter Henrietta war am Sterbebett ihres Vaters. Sie widersprach der Behauptung, ihr Vater sei kurz vor dem Tode Christ geworden und bestritt auch, dass es Besuche von Lady Hope gegeben habe. Außerdem habe ihr Vater nie seine wissenschaftlichen Vorstellungen revidiert. Darwins Sohn Francis schrieb ein Buch über seinen Vater, in welchem er nichts über eine Bekehrung erwähnt. Darwins Frau Emma war eine gläubige Frau, die unter dem Unglauben ihres Mannes litt. Eine Umkehr hätte sie mit Sicherheit hoch erfreut und ihrer Umgebung bekannt gemacht. (Sie überlebte ihren Mann viele Jahre.)