Fjodor Dostojewski –Die Brüder karamasov – Der Großinquisator

Zusammenfassung

Der Großinquisitor, mit dem Zusatz Eine Phantasie, ist das fünfte Kapitel des fünften Buches aus dem Roman Die Brüder Karamasow von Fjodor Dostojewski, das auch separat unter demselben Titel veröffentlicht wurde. Iwan Karamasow erzählt seinem Bruder Aljoscha eine phantastische Geschichte. Jesus erscheint im Sevilla des 16. Jahrhunderts, wo gerade die Inquisition stattfindet. Das Volk erkennt Jesus und ebenso der greise Kardinal-Großinquisitor, der ihn im Kerker festsetzen lässt, und ihm in einem langen Monolog versucht darzulegen, warum Jesus kein Recht mehr habe, durch ein erneutes Erscheinen das Wirken der Kirche zu stören.

Inhalt

Die Brüder Iwan und Aljoscha Karamasow treffen sich in einem Gasthaus. Der jüngere Aljoscha ist ein tiefgläubiger Mönch, während Iwan ein atheistischer Intellektueller ist. Nach einer „literarhistorischen Vorrede“ zu Beispielen von Erzählungen, in denen „die himmlischen Mächte auf die Erde herabgeholt werden“, beginnt Iwan mit der von ihm erdachten Erzählung über den Großinquisitor.

Es ist das Zeitalter der Inquisition, Sevilla im 16. Jahrhundert. Soeben sind hundert Häretiker qualvoll hingerichtet worden, als Jesus Christus erscheint. Obwohl er kein Wort spricht, wird er von allen, die ihn sehen, erkannt. Als ein blinder Greis bittet „Herr, heile mich, damit ich Dich schaue!“, lässt ihn Jesus sehend werden. Als ein totes Kind im Sarg in den Dom getragen wird und die trauernde Mutter ihn darum bittet, vollbringt Jesus ein zweites Wunder und erweckt das Kind wieder zum Leben.
Dies wird vom Kardinal-Großinquisitor bemerkt, der fast 90-jährig und mit grober Mönchskutte bekleidet Jesus aus der Ferne beobachtet. Er befiehlt seinen Wachen, Jesus zu ergreifen. Das Volk ist so unterwürfig und gehorsam, dass es die Verhaftung geschehen lässt und Jesus wird in ein Verlies im Gebäude des Heiligen Tribunals gebracht.
In der Nacht tritt der Großinquisitor in das Verlies und beschuldigt Jesus in einem langen Monolog, dass er kein Recht habe, auf die Erde zurückzukommen und „die Ordnung zu stören“, welche die römisch-katholische Kirche in über tausend Jahren errichtet habe. Dafür werde er ihn am nächsten Morgen als „schlimmsten aller Ketzer“ zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen.An dieser Stelle fragt Aljoscha Iwan, ob die Aussage des greisen Großinquisitors in dieser Geschichte Iwans zügellose Phantasie sei oder ob es sich um ein unerhörtes qui pro quo handele. Iwan erklärt lachend, das dies keine Rolle spiele. Der Greis „sage das laut, was er die ganzen neunzig Jahre verschwiegen hat“ – aus welchen Gründen auch immer.

Obwohl Jesus weiterhin schweigt, führt der Großinquisitor aus, dass er, wer immer er auch sei, kein Recht habe, „dem, was er schon früher gesagt habe, etwas hinzuzufügen“. Die Kirche habe diese Aufgabe fünfzehn Jahrhunderte lang übernommen und die Menschen von der Freiheit durch Christus überzeugt – wodurch die Menschen ihre Freiheit der Kirche zu Füßen gelegt hätten.Wieder unterbricht Aljoscha, diesmal mit der Frage, ob sich der Großinquisitor lustig mache, es ironisch meine. Dies sei nicht der Fall, erklärt Iwan. Der Greis sei überzeugt, dass das rebellische Wesen der Menschen durch die Inquisition überwunden werde und sie dadurch frei würden, auf dem einzig richtigen Wege, dem der Kirche, zu gehen.

Der Großinquisitor wendet sich dem Gespräch Jesu mit dem Teufel in der Wüste zu. Er wirft Jesus vor, das Brot, das Wunder und die Macht, die der Satan ihm angeboten hatte, zurückgewiesen und damit der Menschheit eine Freiheit gegeben habe, mit der diese gar nichts habe anfangen können und die seitdem im Elend lebe. Es gebe für Menschen nichts Qualvolleres als die Freiheit des Gewissens, entscheiden zu können, was Gut und was Böse sei – und dies sei Jesus’ Werk gewesen. Indem er sich den drei Fragen hingegeben hätte, hätte er die Menschen automatisch von dieser Seelenqual befreien können. Auch vom Kreuz sei er nicht vor aller Augen herabgestiegen, um durch dieses Wunder alle Menschen direkt überzeugen zu können. Gerade das habe aber die Kirche geleistet. Sie habe den schwachen Menschen ein Geheimnis gegeben, dem sie sich blind unterordnen könnten. Sie habe die Lehre verbessert und sie auf strikte Autorität gegründet – und damit die menschliche Bürde erleichtert. Der greise Großinquisitor bekennt sich zum Antichrist: „Wir sind nicht mit Dir im Bunde, sondern mit ihm, das ist unser Geheimnis!“ Die Kirche habe vor acht Jahrhunderten Rom und das Schwert des Kaisers vom „mächtigen Geist“ empfangen, um die Weltherrschaft zu gründen und die Menschen vor sich selber zu retten, was Jesus mit der dritten Frage abgelehnt habe. Das Brot, das man verteile, sei zwar nicht aus Steinen durch ein Wunder entstanden, sondern man habe es denen weggenommen, an die es danach wieder verteilt werde – und sie würden sich darüber freuen! Durch ihr Handeln mache die Kirche alle Menschen glücklich, nur sie selber sei unglücklich und habe die Sünde auf sich genommen, da sie dieses Geheimnis bewahren müsse. Aber dafür könne selbst Jesus sie nicht verurteilen.
Schließlich bestätigt er erneut, dass Jesus verbrannt werde: „Schon am morgigen Tage wirst Du sehen, wie diese gehorsame Herde auf meinen ersten Wink hinzustürzen wird, um glühende Kohlen an Deinen Scheiterhaufen heranzuscharren … dafür, dass du gekommen bist, uns zu stören.“Erneut unterbricht Aljoscha, bezeichnet das Gehörte als „Unsinn“ und nur als die schlechtesten Elemente des Katholizismus. Iwan hält dagegen mit der Frage, wer in der katholischen Bewegung in den letzten Jahrhunderten sich nicht dem Verlangen nach Macht und „schmutzigen Güter“ hingegeben hätte. Der Großinquisitor sei am Ende seines Lebens ehrlich in der Erkenntnis, dass sich die armseligen, „nur zum Hohne geschaffenen Wesen Gottes“ nur durch die Weisungen des „furchtbaren Geistes“ und durch Lüge und Täuschung für glücklich halten. Es sei sein Unglück, im Alter zu erkennen, dass dies alles zwar im Namen Jesu, aber entgegen seinen Handlungen geschehe.

Der Großinquisitor wartet auf eine Antwort von Jesus. Der aber schweigt weiter und küsst den Greis auf die blutlosen Lippen, worauf der Großinquisitor die Kerkertür öffnet und den Gefangenen mit den Worten „… komm überhaupt nicht mehr wieder … niemals, niemals!“ entlässt.Iwan hat seine Erzählung beendet und Aljoscha ist traurig über dessen Sichtweise. Iwan beruhigt ihn mit den Worten „alles nur Unsinn“ und „verrückte Dichtung eines verrückten Studenten“. Iwan bekennt sich zu seiner „Kraft der Karamasow’schen Gemeinheit“, zur Amoralität und radikalen Auffassung von Freiheit: „Alles ist erlaubt“. Als er seinen Bruder fragt, ob er sich deswegen nun von ihm lossagen werde, küsst ihn dieser als Antwort schweigend auf den Mund. Ehe die Brüder das Gasthaus verlassen und sich trennen – Iwan nach links in die Welt, vielleicht nach Amerika, Aljoscha nach rechts ins Kloster – verspricht Iwan seinem Bruder, dass er ihn aufsuchen werde.