Mein Mitgefühl gilt allen Hinterbliebenen, den Verletzten und dem Fahrdienstleiter, dem jetzt eine länger Gefängnisstrafe blüht. Wir sind alle nur Menschen und niemand ist perfekt oder fehlerfrei. Dazu nochmal die Geschichte eines ebenfalls „Schuldigen“ und wie er mit seiner Schuld zurecht kam und wie er dadruch Gott kennenlernen durfte:
Helmut Hosch warr für den Tod von 17 Menschen verantwortlich.
Bahnhof Rüsselsheim, 2. Februar 1990. Es ist viertel vor fünf am Nachmittag. Der Berufsverkehr ist in vollem Gange, Pendler auf dem Weg nach Hause. Für Lokführer Helmut Hosch ist alles Routine. „Zurückbleiben bitte!“ Die Türen schließen sich. Er fährt los. Dabei übersieht er, dass ein Signal auf „Halt“ steht. Eine andere S-Bahn kommt ihm entgegen. Bremsen ächzen, aber zu spät: Die Züge stoßen frontal zusammen. Den Rettungskräften bietet sich ein Bild des Grauens. 17 Menschen können sie nur noch tot aus den Trümmern der Waggons bergen, etwa 90 werden verletzt. Unter ihnen auch Helmut Hosch.
„Das Signal war grün“, das sind seine ersten Worte, als er im Krankenhaus aus der Bewusstlosigkeit erwacht. Doch nach und nach muss er sich an den Gedanken gewöhnen, dass er einen verhängnisvollen Fehler gemacht hat. „Mein ganzes Weltbild ging in diesem Moment kaputt“, erinnert er sich. „Ausgerechnet ich, der Superchrist, aktiv in meiner Kirchengemeinde und in der Obdachlosenhilfe. Am Morgen habe ich noch gebetet. Und dann sowas.“ Helmut Hosch verliert den Boden unter den Füßen. Wie soll ein Mensch weiterleben mit solch einer Schuld? Eine Beckenfraktur fesselt ihn ans Bett. Nur seine Bewegungsunfähigkeit hindert ihn daran, sich das Leben zu nehmen. „Hätte ich in den ersten Tagen die Chance zum Selbstmord gehabt, ich hätte sie garantiert genutzt.“
Er verzweifelt an sich selbst und an seinem Glauben. „Vorher hast du immer zehn Zentimeter über dem Boden geschwebt“, erinnert ihn jemand. „Wo ist nun dein Gott?“ Hosch trifft das in Mark und Bein. In langen schlaflosen Nächten buchstabiert er das ABC seines Glaubens durch und gewinnt ihn Schritt für Schritt zurück.
„Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr kapiert, dass vieles an diesem Unfall nicht selbstverständlich war. Da sind zwei S-Bahnen zusammengestoßen und ich saß vorne drin. Aber ich lebe noch. Und ich habe immer viele Leute um mich herum gehabt, die mit mir geredet haben, die meinem Weinen zugehört haben und die nicht an mir verzweifelt sind. Das halte ich alles für ganz große Wunder und Geschenke. Die habe ich im Laufe der Zeit gelernt, diesem Gott zuzuschreiben.“
Vor dem Landgericht Darmstadt muss sich Helmut Hosch für seinen Fehler verantworten. Der Richter erkennt auf fahrlässige Tötung. Das Urteil: zehn Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe. Die Gerichtsschuld ist schnell abbezahlt, aber was ist mit der moralischen Schuld? „Die Verantwortung für die Reisenden habe ich“, weiß Hosch. „Wenn die Leute bei mir einsteigen, dann mit dem Vertrauen, dass sie gut ankommen. Aber sie sind nicht angekommen. Siebzehn sind nicht angekommen.“
„Wir verzeihen niemals!“, schreibt eine Boulevardzeitung in großen Lettern. Helmut Hosch kann das verstehen: „Bei dem, was ich an Leid über die Menschen gebracht habe, ist das die logische Schlussfolgerung. Ich lebe, andere mussten sterben. Ich kann mir nicht vorstellen, woher die Leute die Kraft nehmen sollen, mir zu verzeihen.“
Kann er sich denn selbst verzeihen? Totenstille. Helmut Hosch muss schlucken, atmet tief durch. „Ja!“, sagt er zaghaft. Aber das, so betont er, sei für ihn nicht das Entscheidende. „Für mich war eher die Frage: Wohin gehe ich mit dieser Schuld?“ Eines Tages, da ist er sich sicher, wird er sich für sein Leben verantworten müssen. „Dann werde ich vor Gott stehen, und der wird mich fragen: Helmut, was hast du mit deinem Leben gemacht? Dann werde ich anfangen zu grübeln und es werden mir ein paar schöne Dinge einfallen, aber die Liste mit den anderen Sachen wird viel größer sein. Und vor allem wird da ein ganz dickes Rüsselsheim bei mir drunterstehen. Das kann ich nie wieder gut machen.“
Trotzdem ist Hosch heute davon überzeugt, dass auch diese Rechnung bezahlt ist. Gott selbst hat dafür gesorgt. „Ich musste erst lernen, Vergebung anzunehmen. Aber ohne Vergebung wäre alles nur Makulatur. Da müsste ich zugeben, mein Leben hat keinen Sinn mehr. Doch ich weiß, es gibt einen Jesus Christus, der qualvoll ans Kreuz genagelt worden ist, damit ich in meinem Leben bestehen kann.“ An diesen Glauben hat sich Helmut Hosch geklammert, als er es am nötigsten hatte. Dieser Glaube hat sich in seinem Leben als tragfähig erwiesen.
Helmut Hosch arbeitet immer noch bei der Bahn, macht Kontrollfahrten. Auch das ist eine große Verantwortung. Er hat eine zweite Chance bekommen. Er ist sich sicher, vergessen ist seine Schuld wohl nicht, aber vergeben