Die Geschichte der Wahrnehmung der Hölle und des Fegefeuers

Ein paar Jahrzehnte nach Entstehung der Bibel, um das Jahr 135, schrieb ein anonymer christlicher Autor die «Petrus-Apokalypse» in der er er den berühmten Jünger auf einen Höllentrip sandte. In der Rahmenhandlung unterhalten sich Petrus und Jesus, während sie auf den Berg der Verklärung steigen. Unterwegs gibt Jesus seinem Jünger einen Einblick in das Leben nach dem Tod.

Petrus bekommt zwar auch das Paradies zu sehen. Den größten Teil der Schrift nimmt aber die ausführliche Beschreibung der Höllenstrafen ein. Strafengel foltern die Sünder auf eine Weise, die deren Vergehen widerspiegelt: Verrätern werden die Lippen abgeschnitten; Spötter werden an den Zungen aufgehängt; Frauen baumeln an den Modefrisuren, mit denen sie Männer verführt haben; ihre Freier sind an den Schenkeln aufgehängt; Frauen, die abgetrieben haben, stöhnen in Gruben voller Exkremente, während die abgetriebenen Kinder sie mit ihren Blicken martern; junge Mädchen, die mit dem Sex nicht bis zur Ehe gewartet haben, werden bei lebendigem Leib zerrissen; nicht besser geht es Betrügern, Homosexuellen, ungehorsamen Sklaven und allen möglichen übrigen Sündern. Diese stöhnen vor Schmerz. Der Strafengel ruft ihnen zu: «Jetzt zeigt ihr Reue. Doch es ist zu spät!»

Die Schrift, die vermutlich im ägyptischen Alexandria erstmals aufkam, stand zwar nicht auf einer Stufe mit den biblischen Texten, aber dennoch bei vielen Kirchenführern in hohem Ansehen.

Die Erklärung dafür ist so einfach wie menschlich: Wer permanent Willkür und Schikanen ausgesetzt ist, freut sich bei dem Gedanken, dass die Piesacker irgendwann die Rechnung serviert bekommen.

Auch der Kirchenvater Tertullian, der aus einer römischen Offiziersfamilie kam, ließ beim Thema «Hölle» die Kriegsgäule mit sich durchgehen. In seiner Schrift «Über die Schauspiele» malte er genüsslich die Qualen aus, die auf die Verfolger warteten. Die Christen, die jetzt in den Arenen getötet werden, sitzen dann auf den Zuschauerrängen und lachen sich einen.

Christen hielten sich beim Thema Hölle nicht nur an ihren Gegnern schadlos, sondern nutzten die Höllen-Illustrationen auch zur Selbst-Motivation. «Wahre Liebe vertreibt die Angst», hatte der Apostel Johannes in seinem Brief versichert. Andererseits bewirkte das Ausmalen von jenseitigen Peinigungen, so die Erfahrung, eher Verhaltensänderungen als der bloße Appell zur Dankbarkeit für Gottes Gnadengeschenke.

Viele Bischöfe und Priester konnten der Versuchung nicht widerstehen, die Höllenparanoia weiter anzuheizen. Auf den Vorwurf, ewige Folterqualen seien eine überzogene Strafe für menschliche Unbußfertigkeit, hatte der führende mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin eine einleuchtende Antwort: «Eine Sünde gegen Gott wiegt unendlich schwer, denn je höher eine Person steht, gegen die man die Sünde begeht, desto schwerer die Sünde.»

Um die Höllenfurcht abzumildern, war Himmel und Hölle mittlerweile eine Zwischenwelt beigefügt worden: das Fegefeuer. Begründet wurde das mit der wörtlichen Übersetzung einer kurzen Paulus-Passage aus dem Ersten Brief an die Korinther («gerettet … aber wie durchs Feuer hindurch»). Statt sich zu beruhigen, geriet die Fantasie mancher Christen bei der Ausmalung der Fegefeuerstrafen nun endgültig außer Rand und Band. Das wiederum verstärkte das Bedürfnis, sich durch Spenden, Bußübungen, Pilgerreisen, Ablassbriefe von den zu erwartenden Züchtigungen freizukaufen.

Die berühmteste Feuer-und-Schwefel-Predigt hielt ein ehrwürdiger reformierter Theologe. An einem heißen Julimorgen im Jahr 1741 trat Jonathan Edwards im amerikanischen Ostküstenort Enfield hinter das Predigtpult. Man hatte ihn vorgewarnt: Die dortigen Kirchgänger seien lau und unbußfertig. Also machte Edwards ihnen Feuer unter den Allerwertesten. Seine Ansprache wurde unter dem Titel «Sünder in den Händen eines zornigen Gottes» zum Superhit der «Großen Erweckung».

Edwards verzichtete auf Theatralik, las in nüchterner Manier vom Manuskript ab, als würde er einen Gerichtsbeschluss verkünden: «Die unbekehrten Menschen wandeln auf einer morschen Decke über dem Abgrund der Hölle, und in dieser Decke gibt es unzählige unsichtbare Löcher.» Die Gottesdienstbesucher starrten ihn aufmerksam an. «Die Dämonen beobachten sie ganz aus der Nähe. Sie warten auf sie wie gierige Löwen auf ihre Opfer.» Im Saal machte sich Unruhe breit. Die Leute rutschten nervös auf ihren Plätzen hin und her. «Wenn Gott seine schützende Hand wegnähme, so würden die Dämonen sich im nächsten Augenblick auf ihre Opfer stürzen.» Panik brach aus. Man hörte lautes Stöhnen und Wimmern. «Wenn Gott seine Hand vom Schleusentor zurückziehen würde, so würde es sich plötzlich öffnen, und die feurigen Fluten des grimmigen Gotteszorns würden mit einer Wut hervorstürzen, die man sich gar nicht ausmalen kann.» Edwards kam nicht viel weiter. Die Enfielder folgten dem Bekehrungsaufruf, bevor Edwards ihn überhaupt ausgesprochen hatte.