Als der in Greifswald geborene Caspar David Friedrich den Pinsel in die Hand nahm, gaben längst nicht mehr Glaubensfundamentalisten den Ton an. Die kulturelle Elite des frühen 19. Jahrhunderts fand Frömmigkeit bei Malern und Dichtern anstößiger als Freizügigkeit. Es war das Zeitalter der Romantik, und deren künstlerische Vertreter beschäftigten sich mehr mit der eigenen Sehnsucht als mit den Umkehrrufen Gottes. Allerdings hatten die Terrorauswüchse der Französischen Revolution die Hoffnung auf die menschliche Selbsterlösungskompetenz bereits wieder gedämpft. Jedenfalls beim tiefgläubigen Friedrich.
Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war. Dass er nicht wie sein Vater Seifenhersteller wurde – ein Handwerk, das wegen der dabei entstehenden üblen Gerüche verpönt war –, verdankte Friedrich seiner schwächlichen Konstitution. Er lernte das Zeichnen, zeigte allerdings bei der Darstellung von Personen wenig Talent. Ganz außerordentlich war dafür seine Fähigkeit, Landschaften zu malen. Getreu seinem späteren Motto «Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht» brachte er dabei weit mehr als nur schöne Naturimpressionen auf die Leinwand.
Heute gibt es kaum einen Maler, dessen Bilder so stark mit den Sehnsuchtsgefühlen vieler Menschen korrespondieren wie die von Caspar David Friedrich. Sie finden ihre eigenen Stimmungen widergespiegelt. Oft übersehen sie jedoch, dass Friedrich auf mehr als nur seinen eigenen Seelenzustand verweist. Sein eigenes Verlangen richtet sich über äußere und innere Natur hinaus auf den christlichen Gott.
Auf vielen der Friedrich-Gemälde taucht Jesus auf. Allerdings eher indirekt. Der Maler zeigt ihn nicht wie Rembrandt im Kontext biblischer Geschichten. Bei ihm verweist die Schöpfung auf Jesus, manchmal auch ein schlichtes Kruzifix. Auf seinem «Kreuz im Gebirge» lässt er das Kruzifix alles andere, auch die höchsten Tannen, überragen. Er selbst verfasste dazu eine Bildbeschreibung: «Auf einem Felsen steht aufgerichtet das Kreuz, unerschütterlich fest, wie unser Glaube an Jesum Christum. Immergrün, durch alle Zeiten während, stehen die Tannen ums Kreuz, gleich unserer Hoffnung auf ihn, den Gekreuzigten.»
Auch auf dem Gemälde «Morgen im Riesengebirge» ist das Kreuz der Ziel- und Fluchtpunkt einer sonst sinnlosen Welt. Eine weißgekleidete Frau, die vermutlich den Glauben symbolisiert, hält sich mit einer Hand am Kreuz fest und zieht mit der anderen Hand einen schwarzgekleideten Mann, der für die Menschheit steht, hinauf zu Jesus.
Auf einem weiteren bekannten Gemälde, «Mondaufgang am Meer», betrachten ein Mann und zwei Frauen vom Meeresufer aus den aufgehenden hellen Mond, der – wie Jesus, das Licht der Welt – die Nacht erleuchtet.
Auf einem anderen Gemälde, «Der Abend», steht das Licht der untergehenden Sonne für den Erlöser. Das macht Friedrich in einem Gedicht deutlich, das der damals 46-Jährige dem Bild zur Erläuterung beigefügt hatte: «Dunkelheit decket die Erde, ungewiss ist aller Wissen doch nur. Es leuchtet im Abend der Himmel, Klarheit strahlt von oben. Sinnet und grübelt, wie ihr auch wollt. Geheimnis bleibt euch ewig der Tod. Aber Glaube und Liebe sieht Freude und Licht jenseits dem Grabe. Er ist der Herr der Erde.»
Als Inspirationshilfe für andere Maler verfasste Friedrich eine Schrift über die «Zehn Gebote an die Kunst». Das wichtigste Gebot für ihn lautete: «Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen.» Mit anderen Worten: Als Künstler sollte man sich am gottgegebenen Auftrag orientieren, nicht an den Erwartungen des Publikums.
Zu dieser Überzeugung gelangte Friedrich auch durch den Einfluss eines Jugendfreundes, Franz Christian Boll. Mit ihm hatte er sich bei einer Wanderung durch das sächsische Elbsandsteingebirge in theologische Diskussionen vertieft. Boll machte sich später als Pfarrer in Neubrandenburg und als Erweckungsprediger einen Namen. Er verfasste die neu-pietistische Reformschrift «Vom Verfall und der Wiederherstellung der Religiosität».
Als in seiner Stadt eine Typhus-Epidemie ausbrach, blieb Boll im Gegensatz zu seinen Amtskollegen im Ort und kümmerte sich um die Kranken. Kurz darauf starb er mit 42 Jahren. In seiner letzten Predigt redete über die «herrliche Hoffnung, welche uns jenseits der Gräber leuchtet».
Der hypochondrische Friedrich war davon so beeindruckt, dass er nicht nur ein Denkmal für Boll entwarf, sondern ihn in seinem vielleicht gewaltigsten Gemälde persönlich auftreten ließ, dem «Wanderer über dem Nebelmeer». Das Bild zeigt den Pastor in einer Rückenansicht, wie er auf einem Felsen im Elbsandsteingebirge steht. Die Niederungen des Alltags sind vom Nebel bedeckt. Der Fokus des Pastors richtet sich auf die himmlische Ferne. Der Gottesmann steht buchstäblich über den irdischen Dingen.
Für Caspar David Friedrich, der zeitlebens an Depressionen und Geldnot litt, war eine solche Seelenstärke mehr Wunsch als Wirklichkeit. Viele seiner Werke entstanden nicht aus ungetrübter Schaffensfreude, sondern aus Existenzangst und Seelenpein.