Die Vollstreckung der Todesstrafe in Judäa 30–33 n. Chr. unter römischer Herrschaft

1. Römisches Recht in Judäa nach 6 n. Chr. – das ius gladii

Im Jahr 6 n. Chr. wurde Judäa zur römischen Provinz, nachdem die Herrschaft des Herodessohnes Archelaus beendet worden war. Mit der Einrichtung der römischen Statthalterschaft ging die höchste Gerichtsbarkeit auf den römischen Präfekten (Prokurator) über. Nach dem Zeugnis des jüdischen Historikers Flavius Josephus erhielt der erste Prokurator Coponius vom Kaiser die Vollmacht, über Leben und Tod zu entscheiden. Josephus berichtet in seinem Jüdischen Krieg, dass Judäa „in eine Provinz umgewandelt“ wurde und man Coponius, einen römischen Ritter, als Verwalter entsandte, **„dem Caesar die Macht über Leben und Tod in die Hände gelegt hatte“**. Diese kaiserliche Hinrichtungsbefugnis – in der römischen Rechtsordnung als ius gladii („Recht des Schwertes“) bezeichnet – war ein persönliches Mandat des Statthalters und konnte nicht an lokale Instanzen übertragen werden.

In der Praxis bedeutete dies, dass ab 6 n. Chr. die Römer allein die höchste Strafjustiz ausübten, insbesondere bei Kapitalverbrechen. Wichtigste Strafverfahren mussten vor dem römischen Statthalter verhandelt werden. Dies entsprach dem üblichen Vorgehen in römischen Provinzen: Die Todesstrafe durfte nur von römischen Behörden verhängt werden. Eine Ausnahme bildete lediglich ein eng umrissenes Gebiet des Tempelrechts – nämlich die Ermächtigung, Eindringlinge in den innersten Tempelbereich (nichtjudäische Personen) auch ohne römisches Verfahren mit dem Tod zu bestrafen. Diese Befugnis war ein seltenes Privileg, das die Römer aus Zweckmäßigkeitsgründen den jüdischen Tempelautoritäten zugestanden hatten. Davon abgesehen lag jedoch die Kapitalgerichtsbarkeit vollständig in römischer Hand, als Judäa unter Kaiser Augustus’ Anordnung Provinz wurde.

2. Die Rolle des Sanhedrin und seine juristische Autonomie

Der Jerusalemer Sanhedrin – das höchste jüdische Gericht und Ratsgremium – behielt unter den Römern eine begrenzte Autonomie in inneren Angelegenheiten, war jedoch in seiner Strafgewalt deutlich eingeschränkt. Nach 6 n. Chr. war dem Sanhedrin die Gerichtshoheit in Kapitalfällen faktisch entzogen. Josephus deutet an, dass sich der Sanhedrin nur schwer mit dem Verlust dieser Zuständigkeit abfinden konnte. Das jüdische Rechtssystem musste sich der römischen Oberhoheit anpassen. Zwar konnte der Sanhedrin weiterhin über religiöse und zivile Streitfragen nach der Tora entscheiden und Übertretungen ahnden, doch nicht mehr mit der Todesstrafe, sofern ihm nicht ausnahmsweise besondere Befugnisse eingeräumt wurden.

Berichte über vom Sanhedrin verhängte Hinrichtungen in der römischen Zeit sind dementsprechend selten und nur als eng begrenzte Ausnahmen zu verstehen. Die römischen Statthalter konnten einzelnen lokalen Gerichten fallweise gewisse Spielräume gewähren, doch grundsätzlich lag „das ius gladii […] in den Händen der Römer“. Eine jüdische Gerichtsentscheidung in einem Kapitalfall bedurfte normalerweise der Bestätigung durch den römischen Präfekten. Der Sanhedrin konnte also Anklage erheben, Prozesse führen und Urteile fällen – jedoch die Todesstrafe nicht ohne römische Zustimmung vollstrecken. Dies wird auch daran deutlich, dass der Sanhedrin bei Jesus von Nazaret, obwohl er ihn der Gotteslästerung für schuldig hielt, die Hinrichtung nicht selbst durchführen durfte und Jesus daher den Römern übergab. Der Talmud überliefert dazu in rabbinischer Rückschau die Aussage, bereits „vierzig Jahre vor der Zerstörung des Tempels“ (also um 30 n. Chr.) habe der Sanhedrin die Rechtsprechung in Kapitalfällen eingestellt (Jerusalemer Talmud, Sanh 1:1). Auch wenn die Zahl 40 hier wohl als symbolische Rundung für die gesamte Zeit der römischen Prokuratoren (6–66 n. Chr.) zu verstehen ist, unterstreicht diese Überlieferung das Bewusstsein, dass die jüdische Todesstrafengewalt unter römischer Herrschaft nicht mehr ausgeübt werden konnte.

3. Hinweise aus den Evangelien und der Apostelgeschichte

Die Schilderungen des Neuen Testaments bestätigen den Befund, dass die jüdischen Behörden zur Zeit Jesu keine autorisierte Todesstrafengewalt mehr besaßen. Im Johannesevangelium weigert sich der römische Statthalter Pilatus zunächst, Jesus zu verurteilen, und fordert die Ankläger auf, selbst nach ihrem Gesetz zu richten. Darauf entgegnen ihm die jüdischen Oberen unmissverständlich: **„Uns ist es nicht gestattet, jemanden hinzurichten“**. Diese Aussage in Joh 18,31 spiegelt das geltende Recht wider: Ohne römisches Urteil durfte niemand zum Tode gebracht werden. Entsprechend drängte der Sanhedrin Pilatus, ein römisches Todesurteil zu fällen, da er selbst keine Vollmacht zur Exekution hatte.

Auch die Apostelgeschichte berichtet, dass Hinrichtungen durch jüdische Akteure de facto illegal waren und meist in Form von Lynchjustiz oder Tumulten geschahen. Ein Beispiel ist die Steinigung des Stephanus um 32/33 n. Chr.: Stephanus, ein Diakon der Urgemeinde, wurde nach seiner Rede vor dem Hohen Rat aus der Stadt getrieben und von der aufgehetzten Menge gesteinigt. Die Bibel beschreibt dies als wütenden Ausbruch: „Sie schrien laut, hielten sich die Ohren zu, stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn“. Diese Tötung geschah ohne römisches Gerichtsverfahren – offenbar eine inoffizielle Exekution (ein Moburteil), die formal nicht legal war. In der Apostelgeschichte wird nicht erwähnt, dass hierfür eine römische Genehmigung vorlag; es handelt sich vielmehr um eine spontane Gewalttat der Empörten, geduldet vom Hohen Rat. Ebenso versuchten jüdische Gegner Jesu laut den Evangelien mehrfach, ihn eigenmächtig zu steinigen (etwa Joh 8,59; 10,31), was Jesus jedoch entkam. Solche Vorfälle zeigen, dass zwar ein Wille zur Vollstreckung der jüdischen Gesetze bestand, dies aber nur außerhalb der legalen Ordnung – als Akt der Selbstjustiz – erfolgen konnte, solange die römische Besatzungsmacht formal das Sagen hatte.

4. Zeugnisse jüdischer und römischer Geschichtsquellen (Josephus, Philo, Tacitus)

Sowohl zeitgenössische jüdische Historiker als auch römische Autoren liefern Hinweise zur Rechtslage in Judäa. Flavius Josephus, der ausführlich die Geschichte Judäas unter römischer Herrschaft beschreibt, bestätigt eindeutig die römische Kontrolle über Kapitalstrafen. In seinen Antiquitates erwähnt Josephus zum einen die Einsetzung des Prokurators Coponius mit voller Befehlsgewalt (s. o.), zum anderen schildert er einen späteren Vorfall, der die Grenzen jüdischer Autonomie illustriert: Im Jahr 62 n. Chr., als vorübergehend kein römischer Statthalter im Land war (Tod des Festus, Verzögerung bis Ankunft Albinus), nutzte der Hohepriester Hannas II. (Ananus) die Gelegenheit, um eigenmächtig ein Todesurteil zu vollstrecken. Er „versammelte den Sanhedrin“ und ließ Jakobus, den Bruder Jesu, sowie einige andere, wegen Gesetzesbruch anklagen und zur Steinigung hinrichten. Josephus berichtet weiter, dass dieses Vorgehen bei gemäßigten Juden auf Empörung stieß und König Agrippa II. den Hohepriester daraufhin absetzte (weil Hannas ohne römische Autorität gehandelt hatte). Dieser Vorfall – die Hinrichtung des Jakobus – wird von Josephus als unrechtmäßige Überschreitung der Kompetenzen dargestellt und bestätigt, dass der Sanhedrin offiziell keine Hinrichtungsbefugnis besaß, außer wenn die Römer (wie in diesem Ausnahmefall durch Abwesenheit) nicht eingreifen konnten.

Ein weiteres wichtiges zeitgenössisches Zeugnis bietet der jüdisch-hellenistische Philosoph Philo von Alexandria. In seiner Schrift Legatio ad Gaium (Gesandtschaft an Gaius) beschreibt Philo die Lage der Juden unter Kaiser Tiberius und erwähnt dabei den Einfluss des mächtigen Prätorianerpräfekten Aelius Sejanus. Philo berichtet, Sejanus habe die Juden zutiefst gehasst und alles darangesetzt, „die gesamte Nation zu vernichten“, wodurch auch in Judäa eine Welle antijüdischer Maßnahmen gefördert wurde. Pontius Pilatus, der von Sejanus protegiert wurde, trat sein Amt als Prokurator (26 n. Chr.) in einer entsprechend harten Haltung gegenüber jüdischen Empfindlichkeiten an. Philo deutet an, dass unter Sejanus’ Einfluss sowohl in Rom als auch in Judäa eine schwierige Zeit für die Juden herrschte. Historische römische Quellen bestätigen zumindest, dass Tiberius im Jahr 19 n. Chr. eine Ausweisung von Juden aus Rom verfügte (Tacitus, Annales 2,85; Sueton, Tiberius 36), was allerdings möglicherweise noch ohne direkten Zusammenhang mit Sejanus geschah.

Nach Sejanus’ Sturz und Hinrichtung im Oktober 31 n. Chr. änderte sich die Politik Roms gegenüber den Juden bemerkbar. Kaiser Tiberius, nun von Sejanus’ Einfluss befreit, **„stellte den Juden ihre Rechte wieder her“**. Philo berichtet ausdrücklich, Tiberius habe einen Brief an alle Provinzstatthalter (also auch an Pilatus in Judäa) erlassen mit der Anweisung, die jüdische Bevölkerung wohlwollend zu behandeln. Dies impliziert, dass zuvor unter Sejanus gewisse Rechte oder zumindest der geschützte Status der Juden beschnitten worden waren. Tacitus, ein römischer Historiker, erwähnt indirekt die rechtliche Situation, indem er in den Annalen notiert, dass Christus (Jesus) unter Tiberius auf Befehl des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Dieses römische Zeugnis (Ann. 15,44) bestätigt, dass die Exekution Jesu – der in jüdischer Perspektive ein Todesurteil wegen Gotteslästerung verdient habe – tatsächlich durch römische Behörden vollstreckt wurde. Auch wenn Tacitus keine Details zum jüdischen Rechtsstatus liefert, untermauert seine knappe Aussage den Grundsatz, dass im Jahre 30–33 n. Chr. der römische Statthalter die Todesstrafe verhängte und nicht etwa ein jüdisches Gericht.

5. Der Einfluss des Präfekten Sejanus (bis 31 n. Chr.) – politische und juristische Auswirkungen

Sejanus, der von 26 bis 31 n. Chr. faktisch als rechte Hand Kaiser Tiberius’ fungierte, war bekannt für seine antisemitische Haltung. Seine Feindseligkeit gegenüber den Juden hatte sowohl in Rom als auch in den Provinzen spürbare Folgen. Unter seinem Einfluss kam es im Reich zu Misstrauen und repressiven Maßnahmen gegenüber jüdischen Gemeinden. Historiker nehmen an, dass Pilatus’ strenges Regiment in Judäa – etwa das provokative Aufstellen römischer Standarten mit Kaiserbild in Jerusalem und die gewaltsame Niederschlagung von Protesten (vgl. Josephus, ant. 18,55–59) – durch Sejanus’ Unterstützung begünstigt wurde. Pilatus wollte sich offenbar bei seinem Förderer Sejanus profilieren, selbst um den Preis, jüdische Religionsgesetze zu verletzen. In die Jahre bis 31 n. Chr. fallen mehrere Vorfälle, die Pilatus’ brutales Vorgehen zeigen (z. B. die blutige Niedermetzelung auf dem Tempelgelände, erwähnt in Lk 13,1). All dies weist darauf hin, dass die jüdische Führung in Jerusalem unter Sejanus’ Schatten nur geringen Spielraum hatte, gegenüber der römischen Besatzungsmacht eigene Rechtshoheit auszuüben.

Nach Sejanus’ Sturz im Jahr 31 änderte sich die Lage zugunsten der Juden deutlich. Kaiser Tiberius war fortan um Ausgleich bemüht und distanzierte sich von der judenfeindlichen Politik seines ehemaligen Präfekten. Wie oben erwähnt, erging ein kaiserliches Rundschreiben, das die Prokuratoren anwies, die Juden freundlich zu behandeln. Dieses Edikt bedeutete zwar nicht, dass die Römer den Juden die eigenständige Strafgewalt zurückgaben – die Verwaltungspraxis der Provinz blieb unverändert – doch es stärkte die Position der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Führer in politischen Angelegenheiten. Manche Exegeten vermuten sogar, dass der Sanhedrin nach 31 n. Chr. selbstbewusster auftreten konnte und Pilatus ab diesem Zeitpunkt politisch unter Druck stand, Rücksicht auf jüdische Belange zu nehmen. Aktuelle Forschungen (etwa Paul Barnett) stellen die Hypothese auf, dass die Jerusalemer Oberpriester die Gunst der Stunde nutzten: Mit einem nun pro-jüdisch eingestellten Kaiser in Rom und Pilatus’ unsicherer Position nach Sejanus’ Fall hätten sie Pilatus geschickt gedrängt, Jesus hinrichten zu lassen. Diese Interpretation verbindet die historischen Fakten – Tiberius’ Umschwung 31 n. Chr. und Pilatus’ bekannte Schwäche für politischen Eigennutz – mit der biblischen Darstellung, wonach Pilatus Jesus auf Drängen der jüdischen Autoritäten kreuzigte, obwohl er selbst keine Schuld fand (vgl. Lk 23,4.22). Unabhängig von solchen Deutungen bleibt festzuhalten, dass Sejanus’ Sturz keine formale Änderung der Rechtslage (das ius gladii blieb beim Statthalter) bewirkte, wohl aber das politische Klima zugunsten der Juden verbesserte.

6. Mögliche Ausnahmen und „inoffizielle“ Steinigungen (Fall Stephanus u.a.)

Trotz des römischen Hinrichtungsverbots finden sich in den 30er-Jahren einige Beispiele, in denen jüdische Gruppen eigenmächtig die Todesstrafe vollzogen – außerhalb des legalen Rahmens. Der bereits erwähnte Märtyrertod des Stephanus (Apg 7) ist ein klassischer Fall von Lynchjustiz: Formal wurde Stephanus vor dem Sanhedrin angeklagt wegen Gotteslästerung, doch anstatt ein ordentliches Urteil mit römischer Bestätigung abzuwarten, schlug die Volksversammlung sofort zu. Es handelte sich dabei um eine spontane Steinigung, die mehr einer vom Mob vollzogenen Exekution ohne Rechtsgrundlage glich. Einige Ausleger vermuten, dass die römischen Behörden solche Fälle duldeten, solange sie keine größeren Unruhen verursachten – insbesondere wenn das Opfer (wie Stephanus, ein griechischsprachiger Judenchrist) keine einflussreichen Verteidiger hatte. Offiziell legal waren diese Tötungen jedoch nicht. Der Sprachgebrauch der Apostelgeschichte deutet selbst an, dass es sich um eine Art „Wutakt“ handelte, nicht um eine geregelte Hinrichtung (der Ausdruck „sie knirschten mit den Zähnen, stürmten auf ihn los“ in Apg 7,54–57 zeigt die emotionale Überreaktion).

Neben Stephanus ist auch Jesus selbst beinahe Opfer einer solchen inoffiziellen Steinigung geworden. Im Johannesevangelium wird berichtet, dass die jüdischen Führer Jesus für seine Aussagen mehrfach steinigen wollten (Joh 8,59; 10,31-33), weil sie darin Lästerung sahen – doch diese Versuche scheiterten an Jesu Rückzug bzw. am Zögern einiger gemäßigter Beteiligter. Ein weiterer bekannter späterer Fall ist die schon erwähnte Hinrichtung von Jakobus, dem Bruder Jesu, 62 n. Chr. durch den Hohenpriester Hannas II.. Auch diese Steinigung war in den Augen vieler jüdischer Zeitgenossen illegitim und führte zu Protesten bei den römischen Stellen, was Hannas sein Amt kostete. Dass der Hohepriester die Durchführung wagte, lag nur an der vorübergehenden Abwesenheit des Prokurators – im Normalfall hätte er eine solche Eigenmacht nicht ausüben können. Schließlich lässt sich noch ein spezieller Ausnahmefall nennen: Todesstrafe wegen Tempelentweihung. Hier hatten die Römer – wie oben erwähnt – tatsächlich eine offizielle Duldung ausgesprochen. Josephus berichtet, dass den Juden erlaubt war, selbst römische Bürger zu töten, falls diese die heiligen Bereiche des Tempels unerlaubt betraten (eine Tatsache, die durch Inschriften am Tempel bestätigt ist). Allerdings fällt dieser Fall nicht in die Kategorie gewöhnlicher Rechtsprechung des Sanhedrins, sondern war ein singuläres Privileg aus religiösen Gründen.

Zusammenfassend zeigen diese Beispiele, dass jüdische Behörden in den Jahren 30–33 n. Chr. keine reguläre Befugnis zur Vollstreckung der Todesstrafe besaßen. Römisches Recht band die Hände des Sanhedrins in Kapitalfällen – das ius gladii lag beim römischen Statthalter. Wann immer trotzdem Steinigungen oder Hinrichtungen durch Juden geschahen, handelte es sich entweder um spontane Lynchakte ohne legalen Status (wie bei Stephanus) oder um außergewöhnliche Situationen, in denen die römische Macht vorübergehend abwesend oder zum Zweck der Tempelheiligung ein Sonderrecht gewährt war. Die Gesamtbetrachtung aus biblischen, jüdischen und römischen Quellen ergibt ein übereinstimmendes Bild: In der Zeit um 30–33 n. Chr. durften die jüdischen Behörden de jure niemanden zum Tode bringen, sondern mussten in Kapitalfällen die Römer einschalten. Die römische Besatzungsmacht behielt sich bis zum Ausbruch des jüdischen Aufstands (66 n. Chr.) diese höchste Gewalt vor. Erst als die römische Herrschaft in der Revolte endete, erlangte der Sanhedrin für kurze Zeit wieder uneingeschränktes Exekutionsrecht über das eigene Volk – ein Zustand, der jedoch mit der endgültigen Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. sein Ende fand.

Quellen und Literatur: Flavius Josephus, Bellum Iudaicum 2,117; Antiquitates Iudaicae 18,1; 20,200. – Philo von Alexandria, Legatio ad Gaium (Überlieferung bei Eusebius, Historia Ecclesiastica II 5,5–6). – Tacitus, Annales 15,44. – Neues Testament: Joh 18,31; Apg 7,54–58. – Jerusalemer Talmud, Sanhedrin 1:1. – Thomas Söding: Der Prozess Jesu (2015). – Paul Barnett: The Birth of Christianity (2005). – E. Mary Smallwood: The Jews Under Roman Rule (1976). – Emil Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Bd. 1 (1901). – Encyclopedia of the Bible, Art. „Sanhedrin“.