Fjodor Dostojewski (Zusammenfassung)

Fjodor Dostojewski gilt als einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller. Seine schriftstellerische Laufbahn begann 1844; die Hauptwerke, darunter Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Dämonen und Die Brüder Karamasow, entstanden jedoch erst in den 1860er und 1870er Jahren.

Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller aller Zeiten, der mit psychologischem Gespür die Abgründe der menschlichen Seele ausleuchtete wie keiner vor ihm und nur wenige nach ihm. Eher achselzuckend zur Kenntnis genommen wird sein leidenschaftlicher Glaube. In einem Brief an eine Nichte schrieb Dostojewski einmal: «Es gibt in der Welt nur eine einzige positiv-schöne Gestalt: Christus.»

Mehr noch als ein genialer Psychologe war Dostojewski ein Prophet. In seiner Kurzgeschichte «Der Traum eines lächerlichen Menschen», die er 1877 veröffentlichte, beschrieb er zutreffend, was in den nächsten Jahrzehnten auf die europäische Menschheit zukommen würde: Nihilismus, Totalitarismus, Hedonismus. Jeder Mensch, so kündigte Dostojewski an, würde sich nur noch um «sein eigenes Ich» sorgen, aber damit nicht genug: Die Menschen würden sich einen ideologischen Überbau erfinden, um ihren Egoismus zu rechtfertigen. Die Auflösung der Gesellschaft würde wissenschaftsgestützt vor sich gehen.

Während andere Autoren seiner Zeit den Fortschritt feierten, machte Dostojewski aus seinem Pessimismus keinen Hehl: «Europa hat Christus verlassen, und deshalb stirbt Europa, einzig deshalb.»

Man kann sich seine Propheten nicht aussuchen. Ein sanftmütiger Heiliger war Dostojewski sicher nicht, trotz aller Versuche, ein vorbildliches Leben zu führen. Den frommen Gemütern unter seinen Lesern erschwert er den Zugang auch dadurch, dass er seine Erleuchtungen nicht in leicht verdaulichen Portionen veröffentlicht, sondern sie unter komplizierten Handlungen und langatmigen Gesprächen versteckt hat.

Bei Dostojewski ist es wie mit dem Leben:

Die tiefsten Weisheiten befinden sich unter der Oberfläche.

Man muss sie sich manchmal hart erarbeiten.

Auch Dostojewski fielen seine Erkenntnisse über Gott und die Welt nicht in den Schoß. Als junger Mann hatte er wenig Interesse an spirituellen Fragen gezeigt. Eher interessierte er sich für politische Fragen. Für seine Mitgliedschaft in einer revolutionären Gruppierung wurde er erst zum Tode, dann zu Arbeitslagerhaft verurteilt.

Auf dem Weg nach Sibirien steckte eine Frau ihm ein wenig Geld und ein Neues Testament zu. Es wurde während seiner Haft zu seiner einzigen Lektüre und veränderte sein Leben. Kaum war er entlassen, schrieb er der mildtätigen Frau einen Brief. Darin gestand er: «Ich bin ein Kind des Jahrhunderts, ein Kind des Unglaubens und Zweifels, bis zu diesem Moment – und ich weiß es – bis zu meinem Grab.»

Doch während seiner Gefängniszeit hatte er jemanden kennengelernt, der ihn seine Ketten vergessen ließ und seinen Unglauben überwinden half: «Ich glaube, es gibt nichts Schöneres, Tieferes, Sympathischeres, Vernünftigeres, Mutigeres und Vollkommeneres als Christus.» Dostojewski hatte eine Bekehrung erlebt, von der er sicher war, dass er nie dahinter zurückfallen werde:

«Wenn mir jemand bewiese, dass Christus jenseits der Wahrheit sei und tatsächlich die Wahrheit außerhalb von Christus wäre, dann würde ich eher bei Christus bleiben als bei der Wahrheit.»

Die Spannung der besten Dostojewski-Romane ergibt sich daraus, dass die Protagonisten im selben Seelenstadium sind wie der Autor vor seiner Bekehrung. Gott existiert für sie nicht oder ist zumindest in ihrem gedanklichen Kosmos abwesend.

Noch bevor der Philosoph Friedrich Nietzsche seinen «tollen Menschen» den Abgesang auf den Allmächtigen anstimmen lässt («Gott ist tot»), beschreibt Dostojewski die Konsequenzen. Er ahnt, dass die nichtchristlichen Heilsideologien sich als wirkungslos erweisen werden, sogar als mörderisch. «Gewissen ohne Gott ist etwas Entsetzliches», warnte Dostojewski, «es kann sich bis zur größten Unsittlichkeit verirren.»

In seinem ersten Welterfolg «Schuld und Sühne» erzählt Dostojewski, wie ein von Großmannsdenken berauschter Student zum schäbigen Doppelmörder wird, sich aber schließlich unter dem Einfluss einer Christin bekehrt.

Was Dostojewski Sorgen bereitete, war nicht der allgemeine Bedeutungsverlust der Religion. Ganz konkret kritisierte er die Tendenz unter vermeintlich fortschrittlichen Theologen, Jesus zum ethischen Vorbild herabzustufen: «Wir wissen, dass Christus, bloß als Mensch betrachtet, nicht der Erlöser und die Quelle des Lebens ist. Wir wissen, dass keine Wissenschaft das menschliche Ideal je verwirklichen wird.»

Diese Sätze notierte Dostojewski, während er an seinem vorletzten großen Roman arbeitete: «Die Dämonen». Ursprünglich hatte Dostojewski dafür einen anderen Titel vorgesehen: «Die Atheisten». Er beschreibt das Grauen, das eine Bande gottloser Möchtegern-Weltveränderer in einem Provinzkaff heraufbeschwört. Ihre Umtriebe führen zu Mord und Selbstmord, eben ins Nichts. Der Held des Romans ist ein wankelmütiger Bildungsbürger, Stepan, dessen Sohn die atheistischen Umstürzler wie ein böser Messias anführt. Den ganzen Roman lang schwätzt und grübelt Stepan, bis er schließlich nach tausend Seiten auf dem Sterbebett zu Gott findet. Statt sich über sein eigenes mittelmäßiges Leben zu grämen, freut er sich auf das Leben nach dem Tod. Im Glauben findet er das, was die Atheisten nicht im Angebot haben: Hoffnung.

«Meine Unsterblichkeit ist schon deswegen ein Ding der Notwendigkeit», sagt Stepan kurz vor dem Tod mit bezwingender Logik, «weil Gott doch nicht das Unrecht begehen wollte, das Feuer der Liebe, das nun einmal in meinem Herzen zu ihm entbrannt ist, ganz auszulöschen. Und was ist kostbarer als Liebe? Liebe steht höher als Sein.»

Aus eigener Erfahrung wusste Dostojewski, dass rein menschliches Mitgefühl nicht als moralischer Antrieb ausreicht. Um über seinen Egoismus hinauszuwachsen, muss sich der Mensch in Verantwortung zu einer höheren Instanz wissen, zu Gott nämlich: «Die Höhe einer Menschenseele ist zum Teil danach zu ermessen, wie weit und vor wem sie fähig ist, Ehrfurcht und Verehrung zu bezeugen.»

Aber wie passt die Verehrungswürdigkeit Gottes zur anhaltenden Erbärmlichkeit der Welt?

Dostojewski antwortet auf diese Frage mit einem tausendseitigen Mammutroman. Seinem Alterswerk, seinem Meisterstück:

«Die Brüder Karamasow».

Wohin es führt, wenn Christen die Ordnung der Liebe erzwingen wollen, beschreibt die bekannteste Passage aus dem Roman, die Legende vom «Großinquisitor». Darin erscheint Jesus um das Jahr 1500 einem greisen Ketzerverfolger. Die Gegenwart des Friedensfürsten irritiert den mächtigen Kirchenfunktionär. Er beschuldigt Jesus, die Menschen mit seiner sanftmütigen Glaubenseinladung zu überfordern. Der Mensch sei eben nicht zur Freiheit berufen, sondern zum Gehorsam und Jesus nur ein Träumer:

«Dich dürstete nach der Liebe freier Menschen, nicht nach knechtischem Entzücken vor der Macht, die dem Sklaven ein für alle Mal Furcht eingeflößt hat. Aber auch hierin hast Du sie gar zu hoch eingeschätzt, denn Sklaven sind sie.»

Statt sich zu rechtfertigen, antwortet Jesus dem blasphemischen Tyrannen mit einer Geste der Liebe: «Er aber näherte sich schweigend dem Greis und küsste ihn still auf die blutleeren, neunzigjährigen Lippen. Das ist Seine ganze Antwort.»

Im Roman ist es der zweifelnde Karamasow-Bruder Iwan, der die Legende erzählt. Er will damit die Wirkungslosigkeit des Evangeliums veranschaulichen. Er kann sich nicht dazu aufraffen, an den finalen Sieg der Liebe zu glauben. Iwan endet im Wahnsinn.

Als Alternative dazu zeigt Dostojewski den Weg des Glaubens und der Hoffnung auf. Anders als Iwan dreht sich sein jüngerer Bruder Aljoscha nicht um sich selbst und die eigenen Zweifel, sondern vertraut einem Glaubensmentor, dem weisen Mönch Sossima. Auf dem Sterbebett ermutigt Sossima seinen Zögling:

«Bei manchen Vorhaben wirst du, besonders angesichts der Sündhaftigkeit der Menschen, im Zweifel sein und dich fragen: Soll ich zu Gewalt greifen oder zu demütiger Liebe? Entscheide dich stets für die demütige Liebe! Wenn du das ein für alle Mal tust, wirst du dir die ganze Welt unterwerfen können. Die demütige Liebe ist eine gewaltige Kraft, die stärkste, die es gibt, eine Kraft, der nichts gleichkommt.»

Wie Jesus empfiehlt Sossima, sich ein Beispiel an kindlicher Unbekümmertheit zu nehmen: «Seid fröhlich wie die Kinder, wie die Vögel unter dem Himmel! Und lasst euch in eurem Tun nicht irremachen durch die Sünde der Menschen! Liebt den Menschen auch in seiner Sünde, denn das gleicht der Liebe Gottes.»

Die dunkle Alternative zu einem Leben in der Liebe Gottes, die Hölle, beschreibt Sossima als einen Zustand im «Schmerz darüber, dass man nicht mehr lieben kann». Von Weltverbesserern, die ohne die Kraft und Liebe Gottes auszukommen glauben, erwartet Sossima nur Schreckliches: «Sie gedenken, ihr Leben gerecht zu gestalten, werden aber, da sie Christus verwerfen, damit enden, dass sie die Welt mit Blut überschwemmen.»

Obwohl der Roman ein denkbar trauriges Thema behandelt, einen Vatermord, endet er hoffnungsvoll mit einem Gespräch zwischen dem jungen Mann Aljoscha und einer Gruppe von Kindern. Ein Junge fragt ihn: «Ist es wirklich wahr, was die Religion lehrt, dass wir alle von den Toten auferstehen und neu leben und einander wiedersehen werden?»

Aljoscha antwortet: «Gewiss werden wir auferstehen, zweifellos werden wir uns wiedersehen, wir werden uns fröhlich erzählen, was alles geschehen ist.»

Die Kinder freuen sich: «Ach, wie schön das sein wird.» Aljoscha und die Kinder nehmen sich an den Händen und gehen los. Ein Kind ruft: «Und ewig so, das ganze Leben. Hand in Hand! Hurra!»

Dieses Romanfinale ist eines der schönsten «christlichen» Happy Ends der gesamten Literaturgeschichte.

Auch das Leben von Dostojewski endete mit einem Wohlklang. Er hielt sein Versprechen, bedingungslos bei Jesus zu bleiben. Einer seiner letzten Sätze als Autor, ganz am Ende seiner Gedankensammlung «Tagebuch eines Schriftstellers», lautet: «Ich glaube an Christus und bekenne mich zu diesem Glauben nicht wie ein Kind; sondern mein Hosianna ist durch das große Fegefeuer der Zweifel hindurchgegangen.»

Wenige Wochen vor seinem Tod antwortete Dostojewski einem befreundeten Physiker auf die Frage, welche Lektüre-Tipps er für dessen Sohn habe: «Geben Sie ihm nur das zu lesen, was schöne Eindrücke hinterlässt und hohe Gedanken schafft.» Was er damit meinte, konkretisierte er am Ende des Briefes: «Vor allem natürlich das Evangelium, das Neue Testament.»