Wilhelm Busch – Seine erste Verhaftung

Ich dachte: Es wird nun Zeit, dass ich verschwinde. Ich ging zu meinem Auto, das an einer Laterne in einer stil­len Straße stand, und ich meinte, der Fahrer sei wohl ein­geschlafen, denn er saß da so regungslos. Ich ging hin und sagte: „Günther!“ Plötzlich kommt hinter dem Auto einer vor und sagt: „Geheime Staatspolizei. Stopp! Sie sind verhaftet!“ Darum also saß der Fahrer so regungs­los; sie hatten ihm befohlen, sich nicht zu rühren, damit er mich nicht warnen konnte. Und nun wurde ich zurück­geschleift in die Sakristei der Pauluskirche. Das gab natür­lich ein ungeheures Aufsehen. Mir wurde befohlen: „Sie müssen heute abend noch abfahren.“ Ich widersprach: „Das kann ich nicht. Ich muss hier morgen früh predi­gen.“ „Sie reisen ab!“ „Wir sind im Deutschen Reich. Sie können mich doch nicht einfach aus Hessen auswei­sen. Ist doch lachhaft“, sagte ich. „Dann setzen wir Sie in die Bahn.“ „Aber mit dem nächsten Zug fahre ich zu­rück; erst muss ich morgen früh hier predigen.“ „Dann müssen wir Sie verhaften.“ „Bitte.“ Ich wusste noch nicht, was das bedeutet. Ich wusste es wirklich nicht. Dann kam der schreckliche Augenblick, als sie mich in ein offenes Auto setzten, vorne ein SS-Mann und einer daneben, dann ich und der Kommissar. Es war ein großer Mercedes, ein bisschen altmodisch. Ringsum waren Tau­sende von Menschen; die von drinnen waren herausge­kommen, und draußen waren auch noch Leute dazuge­kommen. So etwas sprach sich schnell herum damals.

Ich hatte Angst; wenn die Leute mich jetzt befreiten, dann wäre es das Schlimmste, was mir geschehen könnte. Denn dann würde sofort meine Familie festgenommen. Ich konnte nur zu Gott schreien, dass sie ruhig blieben. Dann geschah etwas, was ich mein Leben lang nicht ver­gessen werde. Es war eine Erregung, eine knisternde Spannung unter den Menschen. Die Leute schrien: „Der hat doch gar nicht politisch geredet! Jesus Christus der Herr!‘ Darf man davon etwa nicht mehr reden?“ Plötz­lich stand ein junger Mann oben auf der Kirchentreppe – ich habe ihn nie wieder gesehen – der über die erregte Menge hinweg den Vers von Blumhardt rief: „Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt. Denn – er sagte das mit Vollmacht – denn alles ist nach seines Todes Nacht in seine Hand gestellt.“ Was das be­deutete: Neben der Allmacht Hitlers die Allmacht Jesu Christi öffentlich zu proklamieren! „Nachdem am Kreuz er ausgerungen, hat er zum Thron sich aufgeschwungen, ja, Jesus siegt!“ Ehe jemand ihn packen konnte, war er in der Menge verschwunden.

„Fahr doch los!“, brüllte mein Kerl dem Fahrer zu, doch der war schon lange am wurschteln. Der Wagen sprang einfach nicht an; es war, als ob ihn einer von hinten fest­hielte. „Fahr doch!“ Da stimmte die Menge an: „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich, so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich!“ Ein brausender Ge­sang! „Hab ich das Haupt – Jesus – zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und Wider­sacher Rott?“ „Fahr doch!“ Dann fuhren wir schließlich los. Gott hatte den Wagen festgehalten. Das mussten sie erst mitkriegen, dieses Zeugnis! Mein Herz war so voll, dass ich dem Kommissar sagte: „Sie armer Mann!“ Da sackte er in sich zusammen und sagte: „Ich war früher auch im Bibelkreis für höhere Schüler.“ „Und heute verfolgen Sie die Christen.“ „Ach“, bat er, „geben Sie doch nach. Lassen Sie sich ausweisen. Tun Sie mir das bitte nicht an, dass ich Sie verhaften muss.“ Ich sagte: „Sie ar­mer Mann! Ich kann Sie nicht davor bewahren.“ Da wurde er richtig böse, und ich ging nach der Ankunft des Wagens in die Zelle hinein.