Felix Mendelssohn Bartholdy war, genau wie seine Eltern, zwar jüdischer Abstammung, aber gleichzeitig getaufter Christ. Das Wunderkind, das viele für einen neuen Mozart hielten, war 1809 geboren, in einer Zeit, in der Genies reihenweise das Licht der Welt erblickten. Innerhalb von vier Jahren auch Chopin, Liszt, Schumann, Wagner und Verdi.
Felix war, passend zu seinem Namen, ein Glückskind, gleichermaßen gesegnet mit Begabung, Wohlstand, einer fröhlichen Kindheit und günstigen Karrierefügungen. Bereits mit 26 Jahren bekam er den prestigeträchtigsten Musikerjob der ganzen Welt, die Leitung des Leipziger Gewandhauses. Ebenso wie Bach war er ein guter Freund, herzlicher Gastgeber, treuer Gatte und fürsorglicher Vater. Mit seiner Frau, der Pfarrerstochter Cecilia, zog er fünf Kinder auf. Er praktizierte die «Werke der Liebe», die Nathan der Weise als Kennzeichen wahrer Religiosität bezeichnet hatte.
Seine Bach-Leidenschaft entwickelte Felix bereits als Teenager. Seine Großmutter hatte ihm den Notensatz der Matthäus-Passion geschenkt. Bald komponierte er eigene Oratorien, einmal über den größten alttestamentlichen Propheten, Elia, einmal über den größten neutestamentlichen Jesus-Verkünder, Paulus. Sein Christus-Oratorium blieb unvollendet. Neben geistlich akzentuierter Orchestermusik wie der Lobgesangs-Sinfonie und der Reformations-Sinfonie schuf er Werke, in denen er seiner Weltfreude und Reiselust Ausdruck verlieh: die schottische und die italienische Sinfonie und die Hebriden-Ouvertüre.
Seine mit Abstand beliebteste Klangdichtung ist nicht von ungefähr ein Werk, das Millionen Menschen jedes Jahr auf der größten Feier ihres Lebens spielen lassen: der «Hochzeitsmarsch» aus dem «Sommernachtstraum».
Mendelssohn badete aber nicht einfach in dem Luxus, den Gott ihm beschert hatte. Wie Bach war er sich seiner eigenen Erlösungsbedürftigkeit bewusst. Eine seiner größten Leistungen war aus Sicht seines Freundes Robert Schumann die Chorkantate zum 42. Psalm. Schumann hielt sie für die «höchste Stufe der neueren Kirchenmusik». Mendelssohn komponierte das siebensätzige Werk während seiner Flitterwochen im Schwarzwald. Dabei passt der Psalm eigentlich gar nicht zu einem Frischvermählten, der mit sich, seiner Frau und der Welt völlig ausgesöhnt ist:
«Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.»
Diese Zeilen drückten die Gottessehnsucht des Leipziger Musikgenies aus, während das Ende des Psalms seine Ewigkeitshoffnung bezeugt:
«Ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. Preis sei dem Herrn, dem Gott Israels, von nun an bis in Ewigkeit.»
Mendelssohn starb mit nur 38 Jahren – ein halbes Jahr nach seiner geliebten und genauso musikbegabten Schwester Fanny und genauso wie sie an einem Schlaganfall. Auf seiner Beerdigung sang ein vierhundertstimmiger Chor ein Lied, das am Ende des Dreißigjährigen Krieges entstanden war und das Mendelssohn als 15-Jähriger neu überarbeitet hatte: «Jesus, meine Zuversicht.»
In den nächsten Jahrzehnten kam Mendelssohn allmählich aus der Mode und während der Nazi-Diktatur sogar auf den Verbotsindex.
Ausgerechnet in diesen infernalischen Jahren fand eines der bemerkenswertesten christlichen Konzerte statt. An einem Ort der Finsternis öffnete sich wenigstens eine Stunde lang der Himmel. In einem Kriegsgefangenenlager in Görlitz drängten sich am 15. Januar 1941 rund vierhundert inhaftierte Berufssoldaten, Lehrer, Hilfsarbeiter, Ärzte in der Abendkälte, um eine Premiere zu erleben. Ein französischer Häftling hatte ein kammermusikalisches Stück geschrieben. Der Lagerkommandant, der Sohn eines Kirchenorganisten, hatte die Erlaubnis zur Aufführung erteilt. Das Werk hieß «Quartett für das Ende der Zeit» und beruhte auf dem zehnten Kapitel der «Johannes-Offenbarung». Darin stellt sich ein Engel mit einem Fuß auf das Weltmeer, mit dem anderen auf das Land, erhebt seine rechte Hand gen Himmel und schwört «bei dem, der immer und ewig lebt, der den Himmel, die Erde, das Meer und alles Leben geschaffen hat: ‹Gott wird nicht länger warten!›»
Der Komponist war der 33-jährige Avantgardist Olivier Messiaen. In seinem Quartett entfaltete er keine düsteren Untergangsvisionen, obwohl die düsteren Umstände genau das nahegelegt hätten. Ganz im Sinne des Autors des «Buchs der Enthüllung» wies er auf den bereits feststehenden Sieg von Jesus Christus hin. Und so erzeugten die halbkaputten Instrumente – Geige, Cello, Klarinette und Klavier – nicht Töne der Niedergeschlagenheit, sondern Klänge der Hoffnung.
Viele der Zuhörer schöpften daraus die Zuversicht auf einen Sieg des Christuskreuzes über das Hakenkreuz. Es dauerte nicht lange, bis es in der Wirklichkeit das passende Echo gab und das antichristliche Hitler-Reich im Abgrund, im Orkus der Geschichte, verschwand.