Zu diesem Worten aus Psalm 90,12 schildert der Schriftsteller Werner Bergengruen (1892–1964) in seiner Novelle „Legende von den zwei Worten“ eine interessante Begebenheit aus dem Leben Herzog Heinrichs von Bayern (973-1024).
Dieser Herzog Heinrich betete regelmäßig in einer Kapelle, die sich an einem abgelegenen Waldstück befand. Dort kommt er eines Tages wieder einmal hin und liest betend folgende Sätze in seinem Stundenbuch: „Auf jenen Tag wird Gott als der gerechte Richter dir die hinterlegte Krone der Gerechtigkeit geben“, und weiter: „Wer in der Anfechtung aushält, wird die verheißene Krone des Lebens empfangen“. Den Herzog durchzuckt es. „Das sind Andeutungen auf meinen Tod“, denkt er.
In seine Gedanken vertieft verlässt er die stille Waldkapelle. Plötzlich bemerkt er an der Wand neben dem Tor der Kapelle eine dunkelrot aufleuchtende Schrift. Er ist so verwirrt, dass er nur die ersten beiden Wörter lesen kann, bevor auch diese im Nichts verschwinden: „Nach sechs …“
Auf seinem Ritt nach Hause kombiniert der Herzog: „Verse, die über den Tod reden plus die Zahl sechs, ich glaub’ ich weiß worum es geht: Nach sechs Tagen werde ich sterben!“ Dieses Geheimnis behält der Herzog für sich selbst. In den folgenden Tagen, versucht er alles, was sein Leben auf der Erde betrifft, in beste Ordnung zu bringen. Er schließt Frieden mit allen möglichen Leuten, mit denen es Unstimmigkeiten gegeben hat. Doch der sechste Tag vergeht und er lebt zu seinem großen Erstaunen immer noch.
„Jetzt ist alles klar, es müssen sechs Wochen gemeint sein!“, so denkt der Herzog nun. Er versucht noch mehr, Streitereien beizulegen und auch in seiner Familie Frieden zu stiften. Doch nach dem Ende der sechs Wochen, passiert immer noch nichts. Herzog Heinrich meint nun zu wissen, dass es sich, bei der Botschaft um sechs Monate handelte. Auch diese gehen vorbei und es geschieht nichts von Bedeutung. Lediglich, die Leute, die um den Herzog herum sind bemerken etwas außergewöhnliches: Die Lebensweise des Herzogs hat sich massiv geändert.
Nachdem sechs Jahre vergangen sind, denkt er wieder über den Tod nach, er versucht die geordneten Verhältnisse mit den Mitmenschen beizubehalten. Er kommt zu dem Schluss, dass alles in bester Ordnung und in Frieden ist.
Am Abend steigt der Herzog auf sein Turmzimmer. Er blickt aus dem Fenster. Am Horizont sieht er eine Schar von Reitern immer schneller auf sein Schloss zu kommen. Er beschließt, ihnen entgegen zu reiten.
Als die Reiter und der Herzog aufeinander treffen, verkündigt einer der Reiter mit lauter Stimme: „Nach sechsstimmig geschehener Beschließung der sechs Kurfürsten laden wir dich, Heinrich von Bayern nach Aachen, die Krone des Heiligen Römischen Reiches zu empfangen.“
Fortan lautete sein Name Kaiser Heinrich II., genannt der Heilige. Er soll danach noch zehn Jahre regiert haben, bevor er in Frieden gestorben ist.
Heinrich II. war übrigens Sohn des bayerischen Herzogs Heinrich II., genannt „der Zänker“.