Weibliche Apostel ?

Als Beleg für solche wird Römer 16.7 angeführt. Dort wird Junia(s) als Apostel bezeichnet. 

Junia(s) gehörte zu den „Verwandten“ des Paulus. Allerdings bezeichnet das hier
gebrauchte griechische Wort „Suggenés“ im weiteren Sinn auch den Landsmann
oder Stammesgenossen.3 Von daher kann hier schlicht gemeint sein, dass Junia(s)
zu den Israeliten gehört. 

Wir wissen nicht einmal mit Bestimmtheit, ob es sich hier überhaupt um eine Frau
handelt. Werner de Boor schreibt beispielsweise im Kommentar der Wuppertaler
Studienbibel über Andronikus und Junias: „Hier handelt es sich zudem um zwei
Männer, mit denen er (= Paulus) zusammen im Gefängnis gesessen hat.“6 Der griechische
Ausdruck Iounian kann nämlich entweder die Akkusativform des männlichen
Namens „Junias“ oder des weiblichen Namens „Junia“ sein. Man kann dies in
der griechischen Sprache zwar dadurch unterscheiden, dass bei dem Männernamen
der Akzent auf dem „a“ ist, während der Frauenname den Akzent auf dem „i“
trägt. Aber diese Akzente gibt es erst in der späteren Überlieferung – und da kommen
sowohl der Männername wie auch der Frauenname in Handschriften des Neuen
Testaments vor, wobei allerdings der Männername erheblich besser bezeugt ist.
In den frühen Handschriften fehlen aber eben diese Akzente, so dass aus ihrem
Text nicht eindeutig hervorgeht, ob es sich um einen „Junias“ oder eine „Junia“
handelt.
Man hat dieses Problem mit dem Hinweis lösen wollen, dass der Männername „Junias“
in der Antike nicht belegt sei und darum hier zwangsläufig eine Frau gemeint
sein müsse.8 Aber Gerd Kelter stellt fest:
„Dass er bei den antiken Schriftstellern überhaupt nicht bezeugt werde, lässt
sich jedenfalls so pauschal nicht behaupten. Denn bei Epiphanios von Salamis
(315-403 n.Chr.) wird ein Junias erwähnt, der immerhin Bischof von Apameia
in Syrien war.“9
Die Prüfung der Handschriften spricht jedenfalls eher gegen die Annahme, dass es
sich bei Junia(s) um eine Frau handelt. Der Akzent wurde dann zwar später in zwei
ältere Handschriften als nachträgliche Korrektur eingefügt. Ansonsten ist der Frauenname
Junia aber erst ab dem 8./9. Jahrhundert sicher belegt.

Walter Bauer geht davon aus, dass es sich dabei um eine Kurzform
des häufiger anzutreffenden Namens Iunianus handeln könnte.11
Nun kann man an dieser Stelle auf die Auslegungsgeschichte verweisen. In der Tradition
der griechisch-orthodoxen Kirche wurde eine „Junia“ zu den 72 bzw. 70 Jüngern
gezählt, die in Lk 10 erwähnt werden, und Junia als Gefährtin des Andronikus
verstanden. Aber dem kann man schon entgegenhalten, dass die Tradition der russisch-orthodoxen
Kirche, die ebenfalls solche über die Schrift hinausgehenden Namenslisten
kennt, keine Frauen nennt. Eine Apostelin mit dem Namen Junia ist
dort nicht bekannt.12 Vor allem ist aber in Röm 16,7 an keiner Stelle gesagt, dass es
sich bei den dort genannten Personen um ein Ehepaar handelt. Es ist sogar viel
wahrscheinlicher, dass es hier um zwei Männer namens Junias und Andronikus
geht, die wie Paulus gläubig gewordene Israeliten sind und sich einer gewissen Bekanntheit
erfreuen.

Die zweite Schwierigkeit, mit der Ausleger bei Röm 16,7 ringen, ist die Frage, ob
Junia(s) überhaupt ein Apostel war. Hier stellt sich die Frage, wie der griechische
Urtext richtig zu verstehen ist: Will Paulus sagen, dass Junia(s) selbst ein berühmter
Apostel ist? Oder spricht er davon, dass Junia(s) und Andronikus für die von
Jesus berufenen zwölf Apostel bekannte Persönlichkeiten waren?
Paulus verwendet hier das griechische Adjektiv „episémos“, das im Neuen Testament
nur noch an einer weiteren Stelle gebraucht wird. Der Evangelist Matthäus
bezeugt im Zusammenhang mit der Passionsgeschichte: „Sie hatten aber zu der Zeit
einen berüchtigten (episémon) Gefangenen, der hieß Jesus Barabbas“ (Mt 27,16). Der
Ausdruck wird hier im negativen Sinn für einen Mann verwendet, der infolge seiner
Verbrechen berüchtigt war. Eine solche negative Bedeutung hat der Begriff in Röm
16,7 sicher nicht. Darum schlägt Bauer hier die Bedeutung „ausgezeichnet“ oder
„hervorragend“ vor.13 Gemeint ist offensichtlich, dass Junia(s) und Andronikus berühmte
oder bekannte Persönlichkeiten waren. Das Adjektiv scheint sich darauf zu
beziehen, dass man aufgrund von positiven oder negativen Eigenschaften gut bekannt
ist.14
Paulus fügt hinzu, dass Andronikus und Junia(s) gut bekannt sind „unter den
Aposteln“. Die griechische Präposition „en“ bedeutet mit dem Dativ „in“, „innerhalb“,
„an“, „bei“ oder „auf“. Paulus will demzufolge sagen, dass die beiden bekannt
sind „bei“ den Aposteln. Andererseits kann die Präposition auch die Gegenwart in
einem Kreis von Menschen bezeichnen und heißt dann „inmitten von“, „unter“.15
Dies würde dann bedeuten, dass die beiden selbst Apostel und als solche berühmt
sind. Freilich steht dann das Wort „Apostel“ in einem weiteren, allgemeineren Sinn
für den „Boten“ oder „Beauftragten“. Paulus benutzt das Wort „Apostel“ in einem
solchen weiteren Sinn, z.B. in 2Kor 8,23: „Es sei nun Titus, der mein Gefährte und
mein Mitarbeiter unter euch ist, oder es seien unsere Brüder, die Abgesandte (apostoloi)
der Gemeinden sind und eine Ehre Christi.“ Oder in Phil 2,25 sagt er über Epaphroditus,
den die Philipper zu ihm nach Rom gesandt hatten: „Ich habe es aber
für nötig angesehen, den Bruder Epaphroditus zu euch zu senden, der mein Mitarbeiter
und Mitstreiter ist und euer Abgesandter (apostolon) und Helfer in meiner Not.“16